: „Das wird kein Selbstläufer“
Helmut Seitz, Professor für Volkswirtschaft, sieht große Unterschiede zwischen der heutigen Berliner Situation und der Lage des Saarlands und Bremens vor zehn Jahren. Einer Klage in Karlsruhe gibt er dennoch Erfolgsaussichten
taz: Herr Seitz, das Land Berlin will am Verfassungsgericht Geld vom Bund einklagen und verweist gerne auf erfolgreiche Verfahren des Saarlands und Bremens. Ist die Klage also ein Selbstläufer?
Helmut Seitz: Mit Sicherheit nicht.
Wieso nicht?
Ich sehe da einige fundamentale Unterschiede zwischen den Ländern, denn Berlin erhält ja schon überproportional hohe Leistungen vom Bund in Form spezifischer Osttransfers. Außerdem hat der Fall ganz andere Dimensionen – hier geht es um wesentlich höhere Beträge.
Über die „extreme Haushaltsnotlage“ als Basis der Klage gehen die Meinungen auseinander: Der Senat beschließt sie, der Bundesfinanzminister mag sie nicht erkennen. Gibt es keine klare Definition?
Das ist ja das Problem. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung 1992 aufgefordert, klare Indikatoren festzulegen, um eine drohende Haushaltsnotlage rechtzeitig erkennen und verhindern zu können.
Und wie sehen die nun aus?
Es gibt sie nicht. Diesem Auftrag ist keine Bundesregierung nachgekommen, weder eine schwarz-gelbe noch eine rot-grüne. Kein Mensch hat den Mut gehabt, die Problematik anzupacken. Berlin ist zum Gang in die Haushaltsnotlage quasi verführt worden, weil es sich in der Sicherheit wiegen konnte: Wenn es schief läuft, können wir nach Karlsruhe gehen.
Hans Eichel sieht das wohl anders: Berlin habe seine Misere zum Teil selbst verschuldet.
Die Frage der Schuld ist vielfältig. Diepgen? Der Senat? Ich glaube, dass Berlin in den unmittelbaren Nachwendejahren finanziell zu schlecht ausgestattet wurde. Berlin hat das akzeptiert – ich hätte das nicht getan. Insofern lässt sich danach von politischem Versagen sprechen.
Viele schieben alles auf die Misere der Bankgesellschaft.
Die Bankgesellschaft ist nicht die Ursache der Finanzkrise. Die hat zwar noch ein Schmankerl obendrauf gesetzt, das vielleicht noch wächst – aber die prekäre Lage bestand schon vorher.
Was muss Berlin tun, damit die Klage Erfolg hat?
Der Erfolg wird ganz entscheidend davon abhängen, dass Berlin dokumentiert, dass es eigene Anstrengungen zur Haushaltssanierung unternimmt. Der Senat muss zu ganz rigorosen Sparmaßnahmen greifen – und auch die politische Kraft haben, sie durchzusetzen.
Was ist für Sie rigoros?
Von drei Opern vier weg. Weniger überspitzt gesagt: Wenn eine Oper übrig bleibt, muss das auch reichen. Kultur ist ein privates Gut und hat mit Ausnahme der Kinder- und Jugendkulturarbeit in den öffentlichen Kassen nicht viel zu suchen! Im Bereich Bildung hingegen ist mit viel Vorsicht zu agieren, denn hier liegt das Entwicklungspotenzial des Landes. Der Senat darf hier nicht einknicken – den Job von Finanzsenator Sarrazin möchte ich dabei ehrlich gesagt nicht haben.
Gesetzt den Fall, der Senat setzt diese rigorosen Maßnahmen durch: Wie sind Berlins Chancen bei der Klage?
Ich bin als Ökonom nicht glücklich darüber, weil es andere Länder ermuntern und ein Fass ohne Boden öffnen könnte – aber ich gehe davon aus, dass das Verfahren positiv für Berlin ausgeht. Und zwar deshalb, weil bislang keine Bundesregierung die vom Verfassungsgericht 1992 angemahnten Regelungen zur Verhinderung von Haushaltsnotlagen in Angriff genommen hat.
INTERVIEW: STEFAN ALBERTI
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