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Wer zu spät kommt …

Lange haben Politiker fröhlich über das Rentensystem gestritten, ohne es zu verändern. Schade, denn künftig macht demografischer Wandel alle Reformen doppelt teuer

Unpopulär, aber unumgänglich wirddie Erhöhung des Renteneintrittsalters sein

„Die Renten sind sicher“, lautete einst ein schöner Wahlkampfslogan der Kohl-Ära. Jetzt sind bei Rot-Grün offenbar nur noch die Beitragserhöhungen sicher – diesmal auf 19,5 Prozent, den höchsten Stand seit ihrem Regierungsantritt. Steigenden Beiträgen stehen zudem happige Einkommenseinbußen im Alter gegenüber. Vom Ziel, den Lebensstandard im Alter zu sichern, hat sich die gesetzliche Rente verabschiedet.

Vor diesem Hintergrund fordern Experten gern generelle Systemalternativen zur gesetzlichen Rente. Nur: Dafür ist es zu spät. Angesichts des demografischen Umbruchs können die Zusatzbelastungen eines Rentensystemwechsels nicht mehr geschultert werden. Das gilt für die solidarische Option einer beitragsunabhängigen steuerfinanzierten Mindestrente ebenso wie für die individuelle Absicherung von Altersrisiken.

Aktuell ist die Massenarbeitslosigkeit die wichtigste Ursache für Beitragserhöhungen. Doch schon in den nächsten Jahren werden die Folgen des demografischen Wandels die Rentenkassen zusätzlich belasten, die in Westdeutschland 85 Prozent des Einkommens eines typischen Rentnerhaushalts beisteuern und im Osten fast die ganze Altersversorgung allein tragen.

Heute kommen auf einen Rentner zwei Personen im erwerbsfähigen Alter. Doch in den nächsten Jahren werden die geburtenschwachen Jahrgänge der 70er- und 80er-Jahre die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegsära im Erwerbsleben ablösen: In dreißig Jahren werden auf zehn Erwerbsfähige sieben Rentner kommen. Zugleich erhalten mit steigender Lebenserwartung Senioren länger Unterstützung: Wer in Rente geht, hat statistisch noch ein Viertel seines Lebens vor sich.

Eine ausschließlich kapitalgedeckte Alterssicherung, nach dem Modell privater Lebensversicherungen organisiert, setzte in dieser Periode die Erwerbstätigen einer unerträglichen Doppelbelastung aus: Sie müssten weiter die Rentenbeiträge für die Älteren aufbringen, ohne dadurch eigene Ansprüche ableiten zu können. Zugleich wären sie für ihre individuelle Alterssicherung allein verantwortlich.

Keine Chance dürfte auch die beitragsunabhängige steuerfinanzierte Grundrente haben, die im Umfeld der Bündnisgrünen propagiert wird. Denn auch sie scheitert an der Finanzierbarkeit: Sowohl die garantierten gesetzlichen Rentenansprüche als auch die neue Grundrente müssten gleichzeitig aus Steuermitteln bezahlt werden. Dies gelänge nur, wenn Einkommen-, Mehrwert- und Ökosteuer erhöht würden. Doch nähme man so den Durchschnittsverdienern jede Möglichkeit zum Aufbau einer ergänzenden privaten Alterssicherung.

Übrig bleibt also in der Rentenpolitik nur ein möglichst elegantes Weiterwursteln innerhalb des vorhandenen Systems. Selbst wenn man einzelne Elemente der Alternativmodelle einbezieht, lassen sich kaum weitere Beitragserhöhungen und gleichzeitige Absenkungen des Rentenniveaus verhindern. Schon heute muss ein Durchschnittsverdiener rund 35 Jahre erwerbstätig sein, um überhaupt einen Rentenanspruch auf Sozialhilfeniveau zu erzielen. Rentenpolitik muss sich deshalb der Realität künftiger Altersarmut stellen. Diese ist zwar derzeit noch kein Massenphänomen – nur rund 3 Prozent der über 65-Jährigen beziehen Sozialhilfe und ab 2003 die neue Altersmindestsicherung. Doch vermehrt erreichen jene das Rentenalter, deren Vita durch längere Schul- und Ausbildungszeiten, Phasen der Arbeitslosigkeit oder sonstige Lücken in der Erwerbsbiografie geprägt ist.

Besonders betroffen von der neuen Altersarmut werden sein: Menschen, die im Erwerbsalter mit „international gestückelten“ Erwerbsbiografien zuwandern und hier nur minimale Rentenansprüche erwerben; jobbende Langzeitstudenten, die nicht den Sprung in gut bezahlte Jobs schaffen; langjährig auf Sozialhilfe angewiesene Alleinerziehende; nicht erwerbstätige Partner eheähnlicher Lebensgemeinschaften nach einer Trennung. Hinzu kommen alle, die dauerhaft in Niedriglohnsektoren oder gering bezahlten Teilzeitjobs verharren müssen und keine eigene Altersvorsorge betreiben können.

Der aus der Ökosteuer resultierende Bundeszuschuss an die Rentenversicherung muss endlich zu einer gezielten Maßnahme des familienpolitischen Ausgleichs und der Vermeidung von Altersarmut entwickelt werden. Während in vergleichbaren europäischen Staaten öffentliche Hilfen für Senioren vorrangig der Armutsvermeidung dienen, tritt hierzulande der Bund als Beitragszahler des Gesamtsystems Rentenversicherung auf. Höhere Renten werden so stärker als Kleinrenten subventioniert.

Unpopulär, aber unumgänglich ist die Erhöhung des Renteneintrittsalters: Während in den USA 57 Prozent und in Japan 63 Prozent der 55- bis 64-Jährigen noch erwerbstätig sind, sind es in Deutschland bloß 43 Prozent. Eine Erhöhung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters um ein Jahr würde die gesetzliche Rentenversicherung um zwei Beitragspunkte entlasten. Dazu bedarf es einer Abkehr vom Prinzip der „Regelaltersgrenze“. Sie unterwirft den seit seinem fünfzehnten Lebensjahr malochenden Bauarbeiter den gleichen Regeln wie den Akademiker, der erst im dritten Lebensjahrzehnt ins Erwerbsleben eintritt. Warum sollte diese unfaire Gleichbehandlung nicht durch eine Mindestversicherungsdauer ersetzt werden, unterhalb deren ein Rentenbeginn mit Abschlägen belastet wird?

Übrig bleibt in der Rentenpolitik nur ein möglichst elegantes Weiterwursteln

Eine andere Perspektive eröffnet die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rente zu einer Erwerbstätigenversicherung: Alle Erwerbstätigen, also nicht nur die Arbeiter und Angestellten, sondern auch alle Selbstständigen und Beamten wären an der Finanzierung der gesetzlichen Rente zu beteiligen. Ein Mindestbeitrag würde verhindern, dass Lücken in der Erwerbsbiografie zu Altersarmut führen. Zusammen mit einer parallelen, steuerfinanzierten Ausweitung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten ließe sich verhindern, dass Altersrenten künftig massenhaft auf Sozialhilfeniveau absinken. Bislang nicht versicherte Selbstständige wären im Sinne einer Mindestversicherung zu berücksichtigen, die man durch die vorhandenen berufsständischen Pensionskassen oder durch individuelle Vorsorge ergänzt. So könnte man der Altersarmut von gering verdienenden Selbstständigen begegnen – und würde dem häufigen Wechsel zwischen Phasen abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit gerecht.

Sicher lassen sich mit einer solchen Erwerbstätigenversicherung nicht alle Probleme des demografischen Umbruchs lösen, da den zunächst höheren Beitragseinnahmen schon in einigen Jahren neue Leistungsansprüche gegenüberstehen. Doch könnte eine generelle Rentenpflicht die Akzeptanz der solidarischen Alterssicherung zurückgewinnen, indem alle Senioren anteilig die notwendigen Beschränkungen tragen.

HARRY KUNZ

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