: Stacheliger Mond
Untergründig und vermutlich nie in Deutschland zu veröffentlichen: Deichtorhallen-Schau „Mangas“ focussiert das Genre Kurzgeschichte
von OLE FRAHM
Zu Beginn eine Frage: Angenommen, das Goethe-Institut kuratierte eine Ausstellung über deutsche Comics in Japan. Sie hieße Die Welt der deutschen Comics. Was für Comics würden dort gezeigt? Sicherlich nicht Werner. Denn die deutschen Kulturattachés würden Wert darauf legen, dass im fernen Japan diejenigen Comics das Bild bestimmen, die sie als Kultur verstehen. Sie würden Comics von Anke Feuchtenberger, Martin tom Dieck und Markus Huber auswählen. Natürlich würden auch einige Klassiker gezeigt, wie die Digedags von Hannes Hegen. Es wäre eine ausgesprochen interessante Ausstellung, aber über die deutschen Comics wäre dort wenig zu erfahren.
Manga – Die Welt der japanischen Comics heißt die Ausstellung, die derzeit in den Deichtorhallen gezeigt wird. Sie wurde ursprünglich von der in Köln ansässigen Japan-Foundation zusammengestellt und für Hamburg ergänzt. Sie will keineswegs die Welt der Mangas zeigen, sondern konzentriert sich auf ein einziges Genre, die Kurzgeschichte.
Seit der Manga-Boom in Deutschland vor wenigen Jahren den Comics eine neue Generation von LeserInnen bescherte, werden mit japanischen Comics große Augen, wilde Seiten-Layouts und rasante Handlungen verbunden. Diesem Klischee entspricht die Schau zum Glück nicht. Ihr Besuch lohnt sich schon deshalb, weil keiner der Comics je in Deutschland veröffentlicht werden wird. Viele von ihnen entstammen Underground Magazinen wie Garo. Einige von dessen Autoren, wie Yoshiharu Tsuge, sind vielleicht aus dem von Art Spiegelman edierten Comic-Magazin RAW bekannt. Und ihr Renommee hat seinen Grund, denn die Art, wie die meisten präsentierten KünstlerInnen ihre Geschichten erzählen – ihre beiläufige Poesie, ihr hintergründiger Humor – entspricht einem ähnlichen Willen, Comics als eigene Ausdrucksform zu beweisen.
Dies in einer Ausstellung umzusetzen ist nicht einfach. Es ist nicht sonderlich bequem, Comics an der Wand zu lesen. Angenehmer wäre es, sich in einem Sessel zu fläzen. Doch würden die BesucherInnen die auf billigem Papier gedruckten Comics noch als Kunst erkennen? Die meisten Ausstellungen frönen deshalb dem Fetisch des Originals. Doch so interessant es sein kann, den Strich einer Zeichnerin zu verfolgen, „ein Manga ist erst in gedruckter Form ein vollendetes Produkt“, wie im lesenswerten Katalog angemerkt wird. Deshalb sind großformatige Kopien der Kurzgeschichten zu sehen, die so auch im Stehen angenehm zu konsumieren sind.
Die Vielfalt der ZeichnerInnen erzeugt dabei eine unterhaltsame Abwechslung: Von historischen Erzählungen, wie von Hinaku Sugiura, inzwischen anerkannte Spezialistin für die Edo-Zeit (1600-1868), über obskure Stücke, wie Shigeru Tamuras An Antique Moon, in dem ein Kaktus menschliche Figur gewinnt und zur Kaktus-Stadt fliegt, wo die Wolkenkratzer mit lustigen Kakteenarmen in den Nachthimmel mit stachligem Mond ragen, bis zu einem Klassiker wie Osamu Tezuka, der mit einer sehr komischen, cartoonhaften Kurzgeschichte über die Vervielfältigung der Comicfiguren vertreten ist, spannt sich der Bogen.
Die Auswahl wirkt insgesamt, als wäre sie für europäische Augen getroffen worden, doch gerade das schult das Auge für die Besonderheit der Arbeiten. Die für Hamburg vorgenommene Ergänzung der Ausstellung um Zeichentrickfilme, Merchandisingfiguren und Modellen von Kampfrobotern ist als Versuch einer Kontextualisierung ehrenwert, wird als solche aber durch keine erläuternden Texte gestützt.
Es ist unübersehbar, dass japanische Comics mehrheitlich im Medienverbund existieren – nur für die gezeigten Kurzmangas gilt dies kaum: Sie scheinen sich bis auf wenige Ausnahmen einer solchen Verwertung zu entziehen. Der Blick auf die fremde Welt der Mangas wird so – im Ausstellen des Klischees einer von sex and violence geprägten Trash-Kultur – exotistisch. Es bleibt den BesucherInnen überlassen, dies in der Lektüre der Comics zu reflektieren.
Di–So 11–18 Uhr, Deichtorhallen; bis 5. Januar 2003. Katalog 5 Euro.
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