piwik no script img

Mageres Gras, geduckte Köpfe

Kein Himmel tut sich auf: In der Verfilmung von Gavino Leddas Roman „Padre Padrone – Mein Vater, mein Herr“ vertrauen die italienischen Regisseure Paolo und Vittorio Taviani auf dokumentarische Präzision mit einigen surrealistischen Momenten

von MARGARETH OBEXER

Ein Junge hockt in einer windgeschützten Erdgrube, Weide und weiße Schafe, die aussehen wie Maden in der Speckkruste, bilden seine Perspektive.

Es mag die Hirtenlandschaft sein, die an das utopische Arkadien erinnert. Für den im Landesinneren Sardiniens aufgewachsenen Autor Gavino Ledda war es alles andere als das. Und auch die Regisseure Taviani verzichteten in ihrer gleichnamigen Romanverfilmung „Padre Padrone – Mein Vater, mein Herr“ (1977) auf farbenfrohes Licht.

Das magere Gras wagt sich nur ungern heraus, wird es doch gleich von den Schafen weggerupft und zertrampelt. Nur selten tut der Himmel sich auf. Einmal im Frühling zeigt die Sonne sich grell lachend über schmelzendem Schnee – da hatte in der Nacht zuvor der Frost den gesamten Olivenhain zerstört. Danach wird angemessen getrauert, schweigend einen Tag lang. Was nicht heißt, dass ansonsten viele Worte gemacht würden. Der Vater Abramo zerrt Gavino nach nur einmonatiger Schulzeit aus der Klasse und schickt ihn in die Berge. Dort wird ihm das Schweigen bis zur Stummheit beigebracht.

Unberechenbar ist die Natur – und unberechenbar ist der Vater. Der schlägt, tritt und drückt zu Boden, was sich aufrichten möchte. Wer sich demütig gibt, wird belohnt, wer zu fliehen versucht, erntet Prügel, die bis zur Bewusstlosigkeit reichen. Ungerührt greift der Vater dann auf Gavinos Schläfe, um den Pulsschlag zu überprüfen.

Dennoch wird von menschlicher Brutalität nicht einfach auf die Brutalität der Natur rückgeschlossen. Menschlich gemacht ist sie, und so klein wie erklärungsarm wird sie gezeigt. Ähnlichkeiten zeigen sich allenfalls an den Folgen: am geduckten Kopf oder an einer speziellen Abhängigkeit zwischen Tier und Mensch oder Vater und Sohn. Anstelle des Pathos vertrauen die Gebrüder Taviani in diesem Film auf dokumentarische Präzision, in die sie surrealistische Momente einstreuen. Wenn der kleine Gavino beim Melken seinen Kopf gegen das Hinterteil des Schafs drückt, damit es nicht in die Milch kackt, ist der ähnlich geduckt wie der Kopf des Tieres. Beide halten sie still.

Einen radikalen Angriff auf alles, was Sexualität verklären könnte, unternimmt schon der Autor, die Regisseure wagen eine weitere Steigerung. Sex in Form maßloser Onanie oder halber Vergewaltigung geschieht aus Langeweile, aus Rache an Tier und Mensch gleichermaßen. Dieses durchgängige Motiv im Roman zeigt sich in einer Kompilation, in einem rein quantitativen Exzess, der eine absurd- aberwitzige Dimension erschließt. Ein ähnliches Moment, das zwischenzeitlich die Schwere des Sujets aufhebt, vermittelt die Statue des heiligen Sebastiano, der zur Kirche getragen wird und plötzlich die Gestalt des Vaters annimmt. Acht junge Männer tragen daran. Unter dem Tuch, das sie verbirgt, und während der Pfarrer das Evangelium liest, beschließen sie plötzlich alle, auszuwandern. Dieser Umschwung könnte eine glatte Erfolgsgeschichte bringen.

Doch Gavinos Fortgang stellt vielmehr einen peinlichen Versuch dar. Als man am Hafen die Unterschrift seines Vaters verlangt, fehlt ihm die. Ein zynischer Scherz des Vaters, der Analphabet Gavino sie selbst nicht hätte überprüfen können. Der nächste Versuch ist sogar vom Vater gewollt. Beim Militär nimmt Gavino an einer Ausbildung für Funk- und Radiotechnik teil. Hier beginnt sein mühsamer Kampf gegen seine Stummheit, den Analphabetismus, die Unkenntnis der italienischen Sprache und insbesondere: gegen sein Heimweh.

Die Geschichte einer Emanzipation, wie sie in den Siebzigerjahren von vielen italienischen Autoren geschrieben wurde, greift hier nicht auf einen Mythos genialischer Selbstbehauptung zurück. Wie in einer Wurzelbehandlung kehrt der Geschlagene immer wieder zurück, wie um sich durch erneute Schläge immer wieder neu zu überzeugen. Als ein Anderer beginnt er sich langsam zu begreifen – nur das Dorf bleibt dasselbe. Und kein Erfolg macht ihm den Verlust seiner Kindheit wett.

„Padre Padreone – Mein Vater, mein Herr“, Regie: Paolo und Vittorio Taviani, mit Omero Antonutti, Nanni Moretti u. a., Italien 1977, 113 Min., bildet den Auftakt für eine Taviani-Reihe, die vom 15. bis 30.11. im Babylon läuft, Rosa-Luxemburg-Platz 2, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen