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Schafft zwei, drei, viele Wolfsburgs

Motivationstour in Sachen Hartz: In der Autostadt Wolfsburg sollen 2.365 Profis der Nation demonstrieren, wie man die Arbeitslosigkeit halbiert. Doch sogar der Bundeskanzler muss dort erkennen: Ohne VW ist das Modell nur halb so schön

aus Wolfsburg HEIDE OESTREICH

Es geht nicht allzu bequem zu in der Welt nach Willen und Vorstellung des Peter Hartz. Eine halbe Stunde müssen die geladenen „Profis der Nation“ im kalten Wind vor dem gläsernen Großfoyer der Autostadt warten – Sicherheits-Check. Ob man so mit echten VIPs verführe? Egal. Brav stehen die 2.365 Wolfsburger „Very Important Professionals“ im Anschluss also zwei Stunden lang bei Käsestangen und einer Runde Freigetränke und lassen sich als Vorbilder feiern. Vorbilder, weil sie, Unternehmer, Sozialarbeiter, Lehrer, Pfarrer oder Journalisten, angeblich den Plan des VW-Arbeitsdirektors Peter Hartz zur Halbierung der Arbeitslosigkeit in ihrer Stadt verwirklicht haben, von 17,2 auf 8,5 Prozent in fünf Jahren. Wer sind diese wunderbaren Menschen? Eine willkürliche Stichprobe: Herr K. fährt für die Lebenshilfe behinderte Schüler. Was er zum Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen hat, weiß er nicht so genau. Na ja.

Es ist irgendwie beruhigend, dass nicht das ganz große Programm gefahren wird an diesem Abend. Kein Budenzauber auf Global-Player-Niveau, sondern drei Reden, ein paar lebende Vorbilder und ein Filmchen über arbeitslose Jugendliche, das erst beim dritten Anlauf funktioniert. Dennoch hat nie jemand aus dem Thema Arbeitslosigkeit so viel herausgeholt an Emotion wie er: Peter Hartz arbeitet klüger als komische Unternehmenskommunikations-Strategen. Ist das nur ein Auto?, fragt VW. Ist das nur ein Arbeitsloser?, könnte Peter Hartz fragen. Nein, das ist ein Potenzialträger. Ist das nur ein Pfarrer, Lehrer, Sozialarbeiter, Journalist, Gewerkschafter, Unternehmer? Nein, das sind die Profis der Nation. Wenn Profis und der Potenzialträger aufeinander treffen, dann wird es Arbeitsplätze hageln. Logisch.

Woran erinnert das nur alles? Ach ja, Motivationstraining. Jürgen Höller, hieß er nicht so, dieser Einpeitscher auf großer Bühne: „Alles ist möglich, du musst es nur wollen.“ Ist Peter Hartz vielleicht der Jürgen Höller des Arbeitsmarktes? Sind tatsächlich „Gleichgültigkeit, Ohnmachtsgefühl und Rücksichtslosigkeit“ die Grundübel, die die Arbeitslosigkeit so böse machen, wie Hartz meint? Und können „wir“, wenn wir „alle mitmachen“, diese „aus unserem Land vertreiben“? Oder geht es vielleicht doch auch um Konjunktur, Weltwirtschaft und Globalisierung?

Wie bei all diesen Mitmachveranstaltungen gibt es auch hier eine praktische Kurzfassung des Konzepts: Die Pfarrer sollen „sensibilisieren“ für das Schaffen von Arbeitsplätzen und den Arbeitslosen Beistand leisten. Vereine sollen eine Patenschaft für einen Arbeitslosen übernehmen: betreuen und am besten einen Job besorgen. LehrerInnen sollen als „Coaches“ für den Berufseinstieg fungieren. Und JournalistInnen, aufgepasst!, sollen „proaktiv“ berichten, die „Bundesliga für Beschäftigung motivieren“ und sogar den „Unternehmer der Woche“ küren.

Kanzler Schröder tritt auf und verteidigt Tarifverträge für Zeitarbeit: Schließlich habe sogar die Wolfsburg AG, das Vorbild, Tarifverträge abgeschlossen. Schröder ist es auch, der einräumt, dass man zwar viele Wolfsburgs schaffen wolle, dies aber andernorts ohne VW etwas schleppender vonstatten gehen könnte. Das Geheimnis von Wolfsburgs Arbeitslosenhalbierung, muss man nämlich wissen, liegt zu einem guten Teil darin, dass VW 80 Zulieferbetriebe nach Wolfsburg verlagerte und selbst Hauptkunde der Wolfsburger Personal Service Agentur für Leiharbeit ist.

Egal, man will ja den Geist von Wolfsburg übertragen, die Motivation. Dreizehn Profis präsentieren sich, vom Geschäftsführer des VfL Wolfsburg über Jugendrichter, Abgeordnete und Unternehmer bis zur Künstlerin. Was die tun können? Praktikumsplätze bietet der Fußballmann mutig, die anderen bleiben eher im Allgemeinen. Man müsse die Einzelschicksale sehen. Man dürfe die Arbeitslosen nicht allein lassen. Und die Jungpolitikerin bringt es auf den Punkt. „Ich persönlich kann nicht viel tun. Aber wir sind jetzt eine Gruppe mit einem Ziel. Es ist keiner mehr alleine. Und ich trage meinen Teil bei.“ Botschaft angekommen.

Stichprobe II: Die Nebenstehende ist Kosmetikern. „Ich bin wohl mehr als Füllmasse eingeladen“, mutmaßt sie. Sie selber würde bestimmt niemanden einstellen, sie arbeite lieber allein. Hm, bedenklich unproaktiv. Aber die Stimmung, die habe Peter Hartz in Wolfsburg schon verändert: „Hier passiert immer viel: pausenlos Aktivitäten. Das schafft Gemeinschaft. Man empfindet etwas für die Stadt.“ Von den Neugründungen seien allerdings viele wieder pleite. Da brauche man ab und zu Abende wie diesen, „neue Motivation“. So wie einst bei Jürgen Höller? Was macht eigentlich Höller? Ach, Insolvenz? Tatsächlich?

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