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Der Weg über Gräber ist frei

Verwaltungsgericht erlaubt Neonazi-Aufmarsch auf Soldatenfriedhof in Halbe und behindert Gegendemonstranten. Heute entscheidet das Oberverwaltungsgericht über Beschwerde dagegen

von HEIKE KLEFFNER

Im Polizeipräsidium Frankfurt (Oder) gibt man sich am Freitagnachmittag gelassen: „Wir sind auf alles vorbereitet. Einen großen Polizeieinsatz wird es in Halbe am Sonntag so oder so geben.“ Doch erst einmal haben die Juristen des Polizeipräsidiums Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) gegen mehrere Entscheidungen des Verwaltungsgerichts eingelegt. Am frühen Freitagnachmittag hatten die Richter der Ersten Kammer entschieden, den Aufmarsch von rund 1.000 Neonazis auf dem Soldatenfriedhof in Halbe bei Königs Wusterhausen zu genehmigen. Sie hoben eine Verbotsverfügung des Polizeipräsidiums auf. Die Verwaltungsrichter machten den Neonazis nur minimale Auflagen: Auf Trommeln und Transparente müssen sie verzichten, damit die symbolische Annährung an den Nationalsozialismus nicht ganz so offensichtlich wird wie Anfang der 90er-Jahre – als kurz geschorene Marschkolonnen im Fackelschein und SA- und SS-ähnlichen Uniformen über den Waldfriedhof zogen.

Zwei Stunden lang werden militante Freie Kameradschaften um den Hamburger Neonazikader Christian Worch und den Aufmarsch-Anmelder Lars Jacobs aus Schleswig-Holstein marschieren. Motto: „Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten“. Der Marsch geht über die Gräber von rund 22.000 Wehrmachtssoldaten, mehreren tausend sowjetischen Zwangsarbeitern, 57 Wehrmachtsdeserteuren sowie toten Insassen eines nach 1945 errichteten NKWD-Lagers.

Auf rechtsextremen Internetseiten werden die Teilnehmer des Neonaziaufmarschs explizit dazu aufgefordert, die Toten der SS- und Waffen-SS-Einheiten wie die berüchtigte SS-Division Dirlewanger mit Kränzen und Blumengebinden zu ehren. Eine zentrale Telefonnummer vergibt Divisionsnamen, „damit keine Doppelungen entstehen“, wie es auf den Websites heißt. Im Polizeipräsidium Frankfurt heißt es dazu, man wolle „jegliche Straftaten, wie beispielsweise das Zeigen von Sigrunen und anderen verbotenen Symbolen“ schon durch großflächige Vorkontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Halbe unterbinden.

Die Verwaltungsrichter sahen jedenfalls keinen Verbotsgrund in der offen angekündigten SS-Huldigung. Vielmehr stellten sie fest, ein Versammlungsverbot sei nur dann gerechtfertigt, „wenn es ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ gebe. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Daran ändere auch der „Schutzzweck des Volkstrauertages und die Widmung des Friedhofes nichts“. Auch ein Versuch des für den Waldfriedhof zuständigen Amts Schenkenländchen, mit Verweis auf die Friedhofsordnung ein Kundgebungsverbot gerichtlich durchzusetzen, scheiterte. Die Friedhofsordnung verbietet eine politische Demonstration.

Weniger gnädig zeigten sich die Verwaltungsrichter gegenüber den Anmeldern zweier Protestaktionen gegen den Neonaziaufmarsch, die zugleich die Wehrmachtsdeserteure und die sowjetischen Zwangsarbeiter ehren wollen. Die Kundgebung unter dem Motto „Nie wieder Faschismus“ sollte ursprünglich direkt auf dem Parkplatz vor dem Waldfriedhof stattfinden. Das Gericht schickt die Antifaschisten nun ins Abseits der 1.500-Einwohner-Gemeinde – zudem seien die Straßen für die Neonazis freizuhalten.

„Als schikanös“ bezeichnete Silvio Kurz, Sprecher des unabhängigen antifaschistischen Bündnisses, die gerichtlichen Auflagen. Er kündigte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht an. Mit dessen Entscheidungen zu dem Neonaziaufmarsch und den Antifakundgebungen wird heute gerechnet.

Informationen zur antifaschistischen Mobilisierung: www.halbe.da.ru

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