: Der nette Neue
Hu Jintao, Chinas neuer starker Mann, hat eine Intellektuellenaura und kann sogar lächeln
aus Peking GEORG BLUME
Zehn Schritte vor den anderen trat er durch die mit Holzschitzereien verzierte Tür des Ostsaals der Großen Halle des Volkes – das sollte zeigen, wer jetzt die Nummer eins in China ist. Auch war er der einzige unter den Genossen, der vor dem Gemälde der Großen Mauer, das dem Ostsaal seine herrschaftliche Atmosphäre schenkt, die Stimme erhob.
Und doch blieb Hu Jintaos Auftritt auch diesmal merkwürdig blass. Man erwartete ein starkes Wort. Aber er sprach in elaborierten Phrasen. Sein letzter Satz: „Ich freue mich auf eine bessere Zusammenarbeit mit den Medien.“ Konnte das im abgeschirmten Parteistaat ernst gemeint sein?
Der studierte Wasserbauingenieur wirkt für einen Machtpolitiker, wie er es sein muss, um an die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas zu gelangen, einfach zu freundlich. Gestern schien der 59-Jährige kurz davor, sein Publikum von annähernd fünfhundert Journalisten aus aller Welt in den Übersetzungspausen anzulächeln. Doch nicht etwa mit einem aufdringlichen Politikerlachen – Hu haftet die Aura eines Intellektuellen mit vornehmen Manieren an. Zudem sieht er im Vergleich zu seinesgleichem im neunköpfigen ständigen Ausschuss des Politbüros hervorstechend gut aus. Wie er ohne Übertreibung in die Kameras winkt, locker das Rednerpult berührt und sich während seiner kurzen Ansprache zweimal die Brille auf der Nase zurechtrückt, scheint er sich bereits auf unaffektierte Art in seine neue Rolle zu fügen.
Wäre er nur ein Dirigent, der sein Orchester vorstellt, würde man ohne weiteres applaudieren. Aber dieser nach außen so angenehme Typ, den westliche Diplomaten bereits wegen seines unherrschaftlichen, kooperativen Arbeitsstils während vergangener Auslandsaufenthalte loben, steht nun an der Spitze der mächtigsten Parteidiktatur der Welt. Wo also verstecken sich die bösen Seiten des Hu Jintao?
Manche westlichen Kritiker orten sie in Tibet. Dort regierte Hu vier Jahre lang als Parteichef der Autonomen Region Tibet und verhängte 1989 das Kriegsrecht, als es vor Ort zu Demonstrationen für den Dalai Lama, das exilierte Religionsoberhaupt der Tibeter, kam. Allerdings hatte Hu zuvor bei Klosterbesuchen den Dialog mit den Religionsvertretern gesucht, und die Kriegsrechtsentscheidung kann ihm vermutlich nicht persönlich angelastet werden, denn sie fiel in Peking. Welche Position Hu in der Tibetfrage wirklich vertritt, wird deshalb erst die Zukunft zeigen. Dass es ausgerechnet in diesem Jahr, kurz vor Hus Machtantritt, nach langer Zeit wieder zu Kontakten zwischen dem Dalai Lama und Peking kam, ist insofern vielversprechend.
Was den neuen Generalsekretär darüber hinaus unter den 66 Millionen Mitgliedern seiner Partei hervorhebt, ist vor allem eins: das Urteil des bereits 1997 verstorbenen Mao-Tse-tung-Nachfolgers und Parteipatriarchen Deng Xiaoping. Nur Deng, der mit seinem mutigen Eintreten gegen die Kulturrevolution und für marktwirtschaftliche Reformen unangefochtene Autorität in der Partei erlangte, konnte es gelingen, auch posthum die Machtverhältnisse seines Landes zu bestimmen. Der Parteichef ist daher kein Zögling seines Vorgängers Jiang Zemin, sondern von diesem nur geduldet. Alle Macht verdankt Hu seiner Ernennung zum inoffiziellen Nachfolger Jiangs durch Deng vor bereits zehn Jahren.
Seither nutzte Hu seine Zeit auf fast zu anständige Art und Weise: Er baute die zentrale Parteischule in Peking zum Hort modernen marktwirtschaftlichen Denkens um. Jürgen Habermas war nach einem Besuch der Lehranstalt Hus im April 2001 begeistert: Nur dort war man auf die blutige Niederschlagung der Studentenrevolte im Jahr 1989 zu sprechen gekommen.
So erscheint Hu auch heute noch als politisches Leichtgewicht, fernab der mächtigen Schanghai-Fraktion um Jiang Zemin, die sich fünf der neun Sitze im Ständigen Ausschuss des Politbüros sicherte. Doch genauso hatte der immer noch allmächtig erscheinende Jiang auch einmal angefangen: als von Deng an die Spitze berufender Außenseiter.
Doch wird der freundliche Hu den von Korruption und Ränkespielen geprägten Apparat beherrschen können? Noch vor ein paar Wochen setzte sich der Leiter der Parteischule für ihre berenteten Lehrer ein, damit ihnen Erlaubnis gewählt wird, am Teich auf dem Schulgelände in Peking zu fischen. So nett kann kein zweiter Mao sein.
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