: off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Während die französischen Filmpioniere Auguste und Louis Lumière in ihren Inszenierungen vor allem das Alltägliche betonten („Die Arbeiter verlassen die Fabrik“) und ihrem Kinematografen lediglich eine Zukunft als wissenschaftliches Instrument voraussagten, erkannte ihr Konkurrent Georges Méliès schnell den Unterhaltungsfaktor des neuen Mediums. Nach Anfängen als Lumière-Imitator begann Méliès, die technischen Möglichkeiten der Kamera zu erkunden, und entdeckte dabei nahezu jeden um die Jahrhundertwende möglichen Trick: den Stopp-Trick (der nichts anderes war als der Filmschnitt in der Kamera; angeblich stieß der Regisseur durch Zufall darauf, als die Kamera einmal streikte und er beim Entwickeln des Films feststellte, dass sich beim Aufnehmen einer Straßenszene ein Pferde-Omnibus in einen Leichenwagen verwandelt hatte), die Mehrfachbelichtung und die „Kamerafahrt“ (nur dass Méliès noch die Objekte auf die Kamera zuschob und nicht umgekehrt). Er filmte „Unterwasserszenen“, indem er Modellschiffe in Aquarien untergehen ließ, und er war wohl auch der erste Filmkünstler, der sich ein eigenes kleines Atelier baute. Méliès besaß das Zaubertheater Robert Houdin in Paris, und sein Interesse an trickreichen Märcheninszenierungen schlug sich auch in seinen Filmen nieder: Die Schauspieler (meist waren es Varietékünstler und Artisten, aber auch der Maestro trat gern selbst vor die Kamera) agierten überaus theatral in fantastischen Pappkulissen, in denen ständig irgendetwas explodierte, und der Stopp-Trick, mit dem man Dinge oder Menschen beliebig weg- oder herzaubern konnte, fand häufige Anwendung.
So auch in „Le voyage dans la lune“ (Die Reise zum Mond), wo mehrere gelangweilte Menschen in Barockkostümen eine Raketenfahrt zum Erdtrabanten unternehmen. Dabei lernen sie den Mondkönig kennen, wohnen einer Ballettaufführung von Mondballerinen bei (dass sie Eingeborenen ständig tanzen müssen, war dann später in Hollywood auch immer Usus) und entführen schließlich die Tochter des Mondkönigs. Das extreme Overacting der Darsteller wirkt aus heutiger Sicht, nun ja, gewöhnungsbedürftig – doch dies sind die Anfänge des Spielfilms, wie man ihn kennt und liebt.
„Le voyage dans la lune“ 2. 12. im Arsenal 2
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Auf den Film als Varietéattraktion verweist die erste deutsche Kinovorstellung, das am 1. November 1895 erstmals vorgeführte „Wintergarten-Programm“ der Gebrüder Skladanowsky: Hier sind ausschließlich nur wenige Sekunden dauernde Varieté-Darbietungen zu sehen, darunter ein „Italienischer Bauerntanz“, ein „Boxendes Känguruh“ und ein „Acrobatisches Potpourri“.
„Wintergartenprogramm“ 1. 12. im Arsenal 2
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Ein vom Gefühl des Verlustes geprägtes Melodram: Mit langem Atem erzählen Regisseur Sydney Pollack und sein Drehbuchautor Kurt Luedtke in „Jenseits von Afrika“ Episoden aus dem siebzehnjährigen Aufenthalt der dänischen Schriftstellerin Karen (Tania) Blixen („Afrika, dunkel lockende Welt“) in Kenia, die sich nach und nach zu einem Charakterporträt ihrer Protagonisten verdichten. Als Karen Dinesen (Meryl Streep) 1913 nach Ostafrika fährt, um den schwedischen Baron Bror Blixen (Klaus Maria Brandauer) zu heiraten, sucht sie die Sicherheit einer angesehenen gesellschaftlichen Stellung. Stattdessen findet sie die Liebe zu Land und Leuten – auch wenn sich ihr beides nur langsam erschließt. Doch schließlich bleiben Karen nur die Erinnerungen: Mit einer Kaffeeplantage hat sie Bankrott gemacht, die Ehe mit Blixen ist längst geschieden, und ihr Geliebter, der britische Großwildjäger Denys Finch Hatton (Robert Redford), ist bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.
Es ist die Geschichte einer kuriosen ménage à trois: Karen, Denys und Afrika. Zu Beginn inszeniert Pollack die großbürgerliche Dänin als eine Fremde in der neuen Umgebung: Man spürt ihre befremdete Neugier, als sie in einer Rikscha über den lokalen Markt gefahren wird, ihre Verlorenheit auf der eigenen Hochzeit, wo sie oft abseits steht – und das Staunen der Eingeborenen über ihre Kuckucksuhr. Mit Karen und Denys finden (und verlieren) sich schließlich zwei Menschen, die gar nicht kompatibel erscheinen: eine tatkräftige, starrköpfige Realistin und ein Romantiker, der den Pavianen in der Wildnis Mozart-Platten vorspielt. Anders als Denys besitzt Karen zwar die Kraft, sich zu verändern – doch als sie wirklich beginnt, ihn zu verstehen, ist er bereits tot. Das ist – wie der gesamte Film – ergreifend, aber keineswegs sentimental.
„Jenseits von Afrika“ 1. 12. in der Urania
LARS PENNING
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