wir lassen lesen: Peter Chladeks Romanerstling „Abstieg“
Ich, der Unsympath
Nach dem gefeierten Wiederaufstieg in die Bundesliga, einer vom Abstiegskampf geprägten ersten Saison in der höchsten Spielklasse und einer reichlich unspektakulären Gegenwart im Mittelfeld der Tabelle hat man beinahe vergessen, dass Borussia Mönchengladbach ein so genannter Kultverein ist – oder es doch zumindest war. Der wahre Abstieg des fünfmaligen deutschen Meisters und Günter-Netzer-Clubs begann nämlich nach der Wiederauferstehung aus den Niederungen der zweiten Liga. „Abstieg“, so heißt der Roman von Peter Chladek, der das Leben des Fußballfans, Sozialarbeiters und Filmredakteurs Frank im ersten Jahr nach dem Abstieg seiner Borussia aus der Bundesliga schildert. Es ist eine Verteidigungsschrift geworden, die Chladek da abgeliefert hat, sicherlich lesenswert für alle Männer, die sich immer noch ernsthaft mit ihren Partnerinnen darüber streiten, ob man Fußballfan sein darf oder nicht. Freuen über das Buch werden sich sicherlich auch jene fußballlinken Anhänger der Spielweise der legendären Fohlenelf der 70er-Jahre, für die Günter Netzer und seine Mitstreiter Revolutionäre im Kampf gegen den vom FC Bayern repräsentierten Kapitalismus waren. Für alle anderen aber dürfte „Abstieg“ ein ziemlich belangloses Werk sein.
Selten kommt ein Ich-Erzähler so unsympathisch daher, wie jener Frank, der – ganz wie es sich gehört für einen Fan, der Fan sein darf – seinen Nick Hornby gelesen hat. Der Brite hat mit „Fever Pitch“ vor ein paar Jahren den ersten wirklich erfolgreichen Fußballroman der Literaturgeschichte geschrieben und darin die These geäußert, dass das Schicksal eines Fußballanhängers ganz eng mit dem seines Vereins verwoben sei: Geht es dem Verein mies, läuft es auch im Leben des Fans nicht gut. Hornbys Weisheit steht auch wie ein Motto im Prolog des Chladek-Romans.
Die Handlung ist derweil schnell erzählt, die darüber liegende des Vereins ebenso wie die eigentliche rund um den Protagonisten Frank: Gladbach steigt aus der Bundesliga ab, die langjährige Freundin Sabine trennt sich von Frank. Der Saisonstart in Liga zwei misslingt ebenso wie die Versuche Franks, sich in Gedanken frei von Sabine zu machen. Auch im Job läuft es nicht gut, wenn Mönchengladbach wenig erfolgreich ist. Schließlich gelingt der Borussia eine Siegesserie, die den Club in die Nähe eines Aufstiegsplatzes führt, pompt beginnt Frank eine neue Beziehung mit Claudia, die er sich schon lange heimlich als Zweitfrau neben Sabine hielt. Am letzten Spieltag verliert Gladbach und muss noch ein weiteres Jahr in der zweiten Liga spielen – und also geht auch die Beziehung mit Claudia in die Brüche und Frank kündigt, frustriert über die ewigen Auseinandersetzungen mit dem Chef, seinen Job.
Dazwischen stellt sich Frank als Sozialarbeiter vor, der Sozialarbeiter hasst, sich selbst aber ganz gut leiden kann. Er präsentiert sich als Kenner und Liebhaber der wahren und guten Musik wie der von Rickie Lee Jones oder The Jesus & Mary Chain. Er war einmal bei den Grünen, hat die Ökospießer aber rechtzeitig wieder verlassen. Außerdem setzt er sich als Filmkritiker gegen die ökonomische Vernunft seines Chefs für den Kunstfilm ein und verachtet die oscarprämierten Hollywood-Schinken. Er vögelt aufgetakelte Boutiqueverkäuferinnen auf der Damentoilette und hat kein schlechtes Gewissen dabei, weil es nur zehn Minuten gedauert hat. Er zieht gerne durch die Kneipen, säuft aber nicht, er ist hoch anständig und will dabei cool wirken. Er ist ein Macho, der seine Freiheit in Gefahr sieht, sobald seine Freundin seinen Wohnungsschlüssel in die Hand bekommt. Und überhaupt: Wahrscheinlich kann er Frauen nicht leiden, weil sie nichts von Fußball verstehen. Kurzum: Irgendwann nervt der selbstgerechte, selbstmitleidige Monolog des Fußballphilosophen, und man kann verstehen, dass es keine Frau lange mit ihm aushält. Der Ich-Erzähler ist ein Ekel aus Leidenschaft, ein richtiger Unsympath.
Aber soll er das wirklich auch sein? Im Klappentext heißt es über den Autor, er sei Mitarbeiter in einem Jugendhaus und habe lange Zeit Musikkritiken für ein Stadtmagazin geschrieben. Wie viel Autobiografie steckt also in Chladeks Roman? Soll man Verständnis für den Ich-Erzähler in seinem Selbstmitleid empfinden? Hat man es nicht wirklich schwer als Fan von Borussia Mönchengladbach? Der Verdacht liegt nahe, dass Frank gar nicht so unsympathisch sein soll. Aber warum kommt er dann so daher? Hat es mit Fußball zu tun?
Vielleicht ist es ja ganz einfach und alle Fußballfans sind unsympathisch. Vielleicht aber sind auch nur die unsympathisch, die glauben, sich ständig für die Zuneigung zu einem Verein rechtfertigen zu müssen. ANDREAS RÜTTENAUER
Peter Chladek: „Abstieg“. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 2002; 188 Seiten; 7,90 Euro
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