: „Wir müssen ein Veto einlegen“
Die grüne Energieexpertin Michaele Hustedt über die EU-Atompolitik. Auf eine gemeinsame Haltung wollten sich gestern Abend Grüne, SPD und Eichel einigen
taz: Mit der Osterweiterung nimmt die EU auch 22 Atomreaktoren mit auf. Die Kommission will deshalb die Kredit-Mittel aufstocken, die der Euratom-Vertrag zur Sicherheits-Nachrüstung bereitstellt. Um welche Summen geht es?
Michaele Hustedt: Derzeit sieht der Vertrag vier Milliarden Euro vor, die Kommission will zwei Milliarden drauflegen. Deutschland soll sich mit 20 Prozent an dieser Aufstockung beteiligen – 400 Millionen also. Allerdings kommt das Geld nicht direkt aus dem deutschen Haushalt, sondern aus dem deutschen Anteil des EU-Haushaltes.
Die Bündnisgrünen wollen diese Aufstockung verhindern. Warum? Und was sagt ihr Koalitionspartner dazu?
Es kann nicht Sinn der Sache sein, in Deutschland den Atomausstieg zu beschließen, gleichzeitig aber in der EU die Investitionsmittel für Atomreaktoren zu erhöhen. Wir sind uns deshalb mit der SPD-Fraktion einig, dass Deutschland ein Veto im Ecofin-Rat – der Runde aus Wirtschafts- und Finanzministern der EU – einlegen soll. Bei der Kommission hatte ja bereits Michaele Schreyer gegen die Aufstockung gestimmt – dort handelt es sich aber um eine Mehrheitsabstimmung. Im Ecofin-Rat aber verhindert ein Veto das Vorhaben. Deutschland ist nicht als einziges Land dagegen. Auch Österreich hat signalisiert, ein Veto einlegen zu wollen.
Was ist daran so schlecht, mehr Geld in die Sicherheit von AKWs zu investieren?
Hinter Sicherheit versteckt sich meistens Neubau. Das sehen wir etwa bei den bulgarischen Reaktoren Kosloduj 5 und 6. Insgesamt 215 Millionen aus dem Euratom-Topf wurden dort bislang investiert, um die Abschaltung der Reaktoren Kosloduj 1 bis 4 zu unterstützen. In Wahrheit hat das Geld bewirkt, dass zumindest die Reaktoren 3 und 4 länger laufen werden als geplant – bis 2010. Ein anderes Beispiel ist das rumänische AKW Cernavoda 2: Für das wurden 250 Millionen Euro aus dem „Sicherheitstopf“ beantragt. Aber in Cernavoda 2 kann man gar kein Geld in die Verbesserung der Sicherheit eines bestehenden Reaktors investieren. Das Kraftwerk ist ein Neubau – und zwar ein kanadisches Reaktorkonzept.
Die Kommission untermauert ihre Aufstockungspläne mit dem Argument, die Mittel aus dem Topf seien größtenteils aufgebraucht.
Das stimmt einfach nicht. Erstens sind das ja Kredite, die zurückfließen. Zweitens sind derzeit noch 224 Millionen Euro im Topf verfügbar. Und drittens hat die Ukraine den Bau der Reaktoren K2-R4 im letzten Jahr zurückgefahren. Die ursprünglich von der EU bewilligten 590 Millionen Euro sind nicht ausgeschüttet worden. Auch dieses Projekt betraf keine Nachrüstung, sondern einen Neubau.
Zu Jahresbeginn wird abgestimmt. Sie fordern eine komplett neue Ausgestaltung des Euratom-Vertrages. Warum?
Wir brauchen eine neue, umfassende und koordinierte Energiepolitik auf EU-Ebene. Die gibt es nicht. Der Kohlesubventionsvertrag läuft aus, der EU bleibt als einziges energiepolitisches Reglementarium der Euratom-Vertrag, der die Atomenergie fördert. Das ist überhaupt nicht zeitgemäß: Viele Mitglieder betreiben gar keine AKWs, andere haben den Ausstieg beschlossen.
INTERVIEW: NICK REIMER
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