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Zwölf Kinder in der Babyklappe

Nach zwei Jahren ziehen Caritas und Diakonie Bilanz: Angebot kann Leben retten und ist sinnvoller Baustein zur Krisenintervention bei Frauen in Not. Jugendverwaltung ist skeptischer: Hemmschwelle, Kinder abzugeben, sinkt

Trotz anhaltender Kritik wollen die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie die Babyklappen an vier Berliner Krankenhäusern „unter allen Umständen“ weiter betreiben und das Angebot auf zwei weitere Kliniken ausweiten. Die bisherigen Erfahrungen hätten gezeigt, dass das Hilfsangebot als letzte Möglichkeit Leben retten könne, sagte gestern die Koordinatorin des Projektes, Ursula Künning. Seit der Eröffnung der ersten Berliner Babyklappe am evangelischen Krankenhaus Waldfriede in Zehlendorf vor gut zwei Jahren wurden insgesamt 12 Kinder abgegeben.

Eines der Kinder war tot in die Klappe gelegt worden; in den Medien hatte der Fall als „Babyklappenmord“ Schlagzeilen gemacht. Allen anderen Kinder gehe es gut, sie seien mit Hilfe des Jugendamts in Pflegefamilien vermittelt worden, berichtet Ursula Künning. In einem weiteren Fall habe die Mutter das Kind später wieder zu sich genommen.

Als Teil eines umfangreichen Netzwerks mit Beratung und Seelsorge seien die Babyklappen ein weiterer Baustein der sozialen Versorgung von Frauen und Kindern in Not, betonte die Waldfriede-Seelsorgerin Gabriele Stangl. „Diese Frauen sind in seelischen Ausnahmesituationen und sehen keinen anderen Ausweg mehr.“ Über das Angebot von Babyklappe und anonymer Geburt sei allein ihre Klinik mit insgesamt 25 Frauen in Kontakt gekommen. „Den meisten von ihnen konnten wir helfen.“ Die Frauen kamen aus allen Altersgruppen und Schichten, so Stangl. „Aber 70 Prozent von ihnen sind unter 20.“

Die Initiatoren des Projekts betonten, sich der Probleme und Rechtsunsicherheiten bewusst zu sein, die die Babyklappen mit sich bringen. Rolf Götte, Chefarzt im Tempelhofer St.-Joseph-Krankenhaus, widerspricht dem Vorwurf, die Babyklappen könnten missbraucht werden oder dazu beitragen, dass mehr Frauen ihre Kinder weggeben. „Bisher konnte in keinem Fall ein Missbrauch festgestellt werden.“ Zwar könne nicht bewiesen werden, dass durch das Angebot weniger Kinder ausgesetzt oder umgebracht würden. „Aber den 12 Kindern, die abgegeben wurden, konnte geholfen werden.“

In der Jugendverwaltung sieht man das skeptischer. Weil niemand bisher nachgewiesen habe, dass die Zahl von Kindstötungen durch Babyklappen abnehme, sei deren Legitimation fraglich, meint der zuständige Abteilungsleiter Wolfgang Penkert. Andererseits stelle sich die Frage, ob durch das Angebot nicht erst Findelkinder produziert würden. Penkert: „Durch die Babyklappen sinkt die Hemmschwelle.“ Zudem müsse endlich die rechtliche Grauzone erhellt werden, in der sich die Babyklappen derzeit befinden. Eigentlich wollte die Bundesregierung bereits in der letzten Legislaturperiode mit der Legalisierung anonymer Geburten einen Schritt in diese Richtung tun. Doch der Gesetzentwurf scheiterte.

Neben den Krankenhäusern Waldfriede und St. Joseph gibt es auch im Krankenhaus Neukölln, das zum städtischen Klinikunternehmen Vivantes gehört, und im Spandauer Waldkrankenhaus eine Babyklappe. St. Hedwig in Mitte will bald eine einrichten, am Krankenhaus Lichtenberg wird ebenfalls über eine Babyklappe diskutiert. In diesen Klappen, hinter denen sich ein Wärmebett befindet, können Frischgeborene unbeobachtet von Zeugen abgelegt werden. Kurz danach wird ein Alarm ausgelöst, damit die Klinikmitarbeiter das Kind aus dem Bett nehmen und sofort betreuen. SABINE AM ORDE

Informationen unter www.babyklappe-berlin.de und bei der kirchlichen Telefonseelsorge (Tel. (08 00) 1 11 02 22)

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