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Das aristokratische Standesamt

Schloss Reichenow zieht als Hochzeitshotel im Hohen Barnim viele Paarungswillige an. Dabei war das Etablissement einst als Frauenhotel mit Wellnessbetrieb und guter Küche gedacht. Die Betreiberinnen haben ihr Konzept noch nicht aufgegeben

„Allein im vergangenen Jahr betreuten die Hoteliers 112 Paare“

von VERENA MÖRATH

Auf der B1 Richtung Strausberg ist ein Kleinlaster mit „Sauren Gurken aus dem Oderbruch“ der einzige Lichtblick weit und breit. Als er abbiegt, begleitet mich nur noch dichter Nebel. Irgendwo soll hier ein Schloss stehen, mit Sauna, Massagen und Himmelbetten. Doch die Wiesen und Wälder des Hohen Barnim im Märkisch-Oderland verstecken ihr Kleinod gut.

Erst auf dem schlosseigenen Parkplatz lassen sich die Reize des Anwesens erahnen. Der neugotische Landsitz, den August Frierich von Eckardstein, Enkel eines vermögenden Spiegelglasfabrikanten, 1897 errichten ließ, sieht fast aus wie neu. Drinnen werde ich überrascht: Keine dunklen, schweren Möbel, kein dicker Teppich, der die Schritte dämpft, und kein Diener im Livree, der mir das Gepäck abnimmt. Stattdessen geleitet mich eine junge Frau über den Terazzoboden auf die breite Treppe ins Obergeschoss. Auch hier keine museale Stimmung. Die Dielen sind abgezogen und klar lackiert, abstrakte Gemälde und wenige, moderne Sitzmöbel zieren den Eingangsbereich, von dem aus man zu den Gästezimmern gelangt.

„Unsere Zimmer haben wir bewusst ohne Fernseher ausgestattet“, erfahre ich auf einem Handzettel. Aber auf Wunsch ist einer zu bekommen, so lange der Vorrat reicht. „Wir wollten von vornherein anders sein als andere Hotels“, erklärt Ursula Hahn, die wie ihre Partnerin Sabine Kirstein ihre Gäste persönlich empfängt. Die beide berufstätigen Mütter aus Berlin lernten sich über den Kindergarten kennen und träumten davon, mal ein Wochenende ohne ihren Anhang zu verbringen. Daraus entstand die Idee, ein Hotel für Frauen aufzumachen. „Wir haben im Umland monatelang gesucht“, rekapituliert die heute fünfzigjährige Ursula Hahn die Geschichte der Schlosssuche, „bis wir zur Brandenburgischen Schlösser GmbH nach Reichnow kamen.“ Dort suchte man händeringend einen Betreiber, war doch das marode Schloss im Auftrag der Gesellschaft und des Brandenburgischen Landesdenkmalamts gerade für elf Millionen Mark restauriert worden.

Obwohl ihnen beim Anblick des großen Schlosses mulmig wurde, sagten sie zu. Dann aber fanden sie mit ihrem Konzept und trotz Businessplans keine finanzierende Bank. „Einem Hotel in den neuen Bundesländern gab man damals keine Chance“, so Hahn. Schließlich sprang ein Freund mit einer privaten Bürgschaft ein.

1997 schließlich eröffneten Hahn und Kirstein ein Tagungs- und Verwöhnhotel mit zweiundzwanzig Zimmern für rund sechzig Gäste, drei Tagungsräumen und einem Wellnessbereich im Souterrain. „Leicht war der Anfang nicht“, gibt Schlossdame Ursula Hahn zu. Abgesehen davon, dass beide anfangs im Restaurant serviert und auch Zimmer geputzt haben, weil kein geeignetes Personal zu finden war, mussten sie hart kalkulieren. Heute erwerben sich im Schloss Reichenow acht Auszubildende ihre ersten Lorbeeren im Gaststättengewerbe, und die Schlossdamen widmen sich ganz der Organisation und Gestaltung ihres Hotels.

„Der Winter ist die ruhigere Zeit“, atmet Ursula Hahn auf, „im Sommer gab es kein Wochenende ohne Hochzeitsgesellschaft.“

Das Wort Hochzeit kam im ursprünglichen Businessplan gar nicht vor, doch gleich im ersten Jahr nach der Eröffnung kamen viele Brautpaare, die im großen Stil in einem Schloss feiern wollten. Da war es nur ein kurzer Schritt dahin, auch ein Standesamt im Schloss zu etablieren. Allein im vergangenen Jahr betreuten die Hoteliers 112 Paare an ihrem denkwürdigen Tag. Aber damit soll es zunächst vorbei sein, da ihre eigentliche Klientel – nämlich Frauen – die sich verwöhnen lassen wollen, zu kurz kommt.

Als Teil der Zielgruppe will ich denn auch ein bisschen Verwöhnaroma schnuppern. Mit Kosmetikerin Petra Delport geht es ins Souterrain. Hier unten dominiert gedämpftes Licht, die Wände sind in warmen Gelb- und Orangetönen gehalten. Ich bekomme die erste Gesichtsbehandlung meines Lebens mit warmen Wickeln. „Sie sind eher der orangene Typ, gemischt mit Violett“, überlegt Petra Deltrop zwischendurch laut und erklärt, dass sie auf die Energie von Farben setzt: Eine orangenfarbene Gesichtslotion wird in mir Optimismus verbreiten, meine Kreativität und Sinnlichkeit fördern und gleichzeitig meine Haut straffen und vitalisieren. Lavendelcreme auf meinem Dekolletee soll mich entspannen und geistig öffnen. Nach anderthalb Stunden dufte ich nach Lavendel bis zum Hals und nach Orangenblüten bis zum Haaransatz. Das anschließende Abendessen gestalte ich gesund mit einer Gemüseboullion als Vorspeise, mit Salaten der Saison und gebackenem Schafskäse als Hauptgang, dazu Mineralwasser. Nichts mehr soll meinem Teint heute noch schaden.

Am nächsten Morgen vermisse ich die Stadtgeräusche. Kein Laut dringt von draußen rein. Der Lange See, der an den Schlosspark grenzt, liegt im Morgennebel. Nur eine halbe Stunde brauche ich, um ihn zu umrunden. Von einer Badestelle aus, kann man Schloss Reichenow von Ferne betrachten: So hochherrschaftlich wirkt es gar nicht, trotz Turm und umlaufendem Zinnenkranz. Eher ein bisschen gespenstisch, wie der Barnim im Nebel.

Schloss Reichenow, Dorfstr. 1, 15345 Reichenow, Tel. (03 34 37) 30 80, Internet: www.schlossreichenow.de. Preise: Doppelzimmer inkl. Frühstück 98 Euro, Romantikzimmer 200 Euro, für vier Personen im Turm 195 Euro. Fahrrad 7,50 Euro pro Tag, Boulebahn umsonst

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