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Herz für heimatlose Künstler

Tretet ein und lasset keineswegs alle Hoffnung fahren: Das Landesmuseum für moderne Kunst und Fotografie zieht in die Alte Jakobstraße und feiert das mit der Ausstellung „Hotel Berlinische Galerie“

von ANDREAS HERGETH

In Berlin platzen manchmal Umzugsvorhaben wie Seifenblasen. Dafür sind Zwischennutzungen beliebt, was die jüngsten Diskussionen über die Reste des Palastes der Republik belegen. Die Berlinische Galerie ist ein Beispiel für beides. Drohte sie doch nach dem gescheiterten Umzug in die ehemaligen Eiskeller auf dem Viktoria-Areal im Kreuzberg „aus dem öffentlichen Bewusstsein“ zu entschwinden, wie Kultursenator Flierl fürchtete. Aber jetzt ist amtlich, dass das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur in das einstige Glaslager in der Alten Jakobstraße zieht.

Statt aufwändig ein historisches Gebäude umzubauen, investiert der Senat kostengünstiger und doch immer noch 16 Millionen Euro in einen schlichten, rechteckigen Bau. Selbst jahrelang ohne eigene Bleibe, haben die Verantwortlichen der Berlinischen Galerie ein Herz für heimatlose Künstler. Bevor der Umbau beginnt, beherbergt das alte Glaslager zwei Wochen lang ein temporäres Kunstprojekt. „Hotel Berlinische Galerie“ ist der treffende Titel für eine Art Stundenhotel für junge Künstler wie Passanten. Die Berlinische Galerie versucht mit dem „unkonventionellen Projekt ein völlig anderes Publikum“ auf sich aufmerksam zu machen, sagt Direktor Jörn Merkert und dürfte damit vor allem junge Leute meinen.

Wohl deshalb ist das Hotel fast rund um die Uhr geöffnet und lädt allabendlich neben Gruppen- und wechselnden Einzelausstellungen zu Filmvorführungen, Performances, Vorträgen, Theater und Partys ein. Michael Rutschky, Annette Berr und andere Autoren lesen. Jim Avignon ist permanenter Überraschungsgast. Man kann Ju-Ju-Tzu-Kampfsportlern oder den Machern von Radio Kanaka International zugucken. Und einige der insgesamt 50 Künstler nahmen das mit dem Hotel wörtlich und zogen samt ihrer Kunst gleich mit ein.

Eine der schönsten Arbeiten kommt als Kommentar auf das Auf und Ab Berliner Kulturverhältnisse daher. Eleni Papaioannou hängte einen riesigen Plastiksack unter die Hallendecke. Alle 15 Minuten fällt der „Momment for nothing“ – so der Titel – in sich zusammen. Die Luft ist raus, doch füllt sich das rote Etwas schnell wieder und immer so fort. „Spuren deutscher Reinlichkeit“ baute Svenja Hehner mit riesigen Haushaltsschwämmen aus Originalmaterial nach. Auf den grünen Schrubberseiten prangen Fotos aus sieben Jahrzehnten Geschichte. Ein KZ-Verbrennungsofen, der Grenzübergang Dreilinden, Hausbesetzer, Beuys und Kelly im Gespräch. Rackotch Nir malte die allgegenwärtige Umweltverschmutzung. Er zeigt in seinen Bildern die Menschen und ihren Alltag stets von einem grauen Smog-Himmel umgeben. Auch wenn solch resignierende Positionen überwiegen, lässt die junge Berliner Szene doch nicht gänzlich alle Hoffnung fahren. Als Hoffnungsschimmer kann die Installation „Freitag“ von Katharina Moessinger gelten. Ein wie echt aussehender Fisch liegt bewegungslos auf einen Tisch. Doch das Tier ist gar nicht tot, sondern zuckt alle paar Sekunden, sehr zur Freude aller Hotelgäste.

Bis 15. Dezember, täglich 12–22 Uhr, Hotel Berlinische Galerie, Glaslager, Alte Jakobstraße 124–128, Kreuzberg

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