: Je schneller man fährt
Hoher Coolness-Faktor bei nur manchmal actionreicher Handlung: Kazushi Watanabe hat es in seinem Regiedebüt „19“ nicht nötig, das Nichtgeschehen, in dem alle seine Protagonisten gefangen sind, pathetisch aufzublähen
Seltsam und schön, dass das B-Movie eine neue Heimat hat, denkt man, wenn man sich Kazushi Watanabes Spielfilmdebüt „19“ anschaut. Die Augen sind erleichtert, endlich einmal wieder schöne grobkörnige Bilder zu sehen, bei denen man kurz denkt, das sieht doch aus wie eine 60s-Mischung aus Nouvelle Vague und Road Movie mit neilyoungesken Gitarrengewittern. Und vieles erinnert in seiner Lakonie auch an den frühen Jim Jarmush – minus 80s-Pathos. Und ein bisschen auch an Takeshi Kitano.
Am Anfang sieht man einen Wagen in der Stadt rumfahren. Drei Männer sitzen drin, die Polster haben wunderbar spießige florale Muster. An einer Ampel fragen die Männer einen jungen Radfahrer, den Studenten Usami, wo dies und das sei. Sie kennten sich nicht aus, er solle vorfahren. Als die Straße leer ist, halten sie an und ziehen ihn ohne weitere Erklärungen in das Auto. Warum, ist unklar, vielleicht tatsächlich nur, damit das Auto voll besetzt ist.
Die vier fahren ziellos durch die Gegend, gehen einkaufsbummeln, besuchen einen Zoo, essen Eis. Einer trägt ein T-Shirt mit dem Neil-Young-Zitat „It's better to burn out, than to fade away“. Einer der Gangster sagt, auch er sei wie Usami irgendwann aufgegriffen worden. Der Student wirkt unreif zwischen den auf seltsame Weise in sich ruhenden Gangstern. Ein-, zweimal versucht er zu fliehen. Nur anfangs lehnt er es ab, Kaffee, Zigaretten oder Essen von den anderen anzunehmen. Er fragt: „Wann kann ich wieder nach Hause?“ Einer der Gangster antwortet mit einer Gegenfrage: „Hast du noch was Besonderes zu tun?“ – „Nein.“ – „Also.“
Später scheint sich der Student sogar wohl zu fühlen. Alles ist ein bisschen wie bei Kafka. Manchmal sagt jemand Sätze wie „Je schneller man fährt, desto langsamer vergeht die Zeit, sagt Einstein; das heißt, wir leben länger, weil wir ständig in Bewegung sind.“ Ein anderer bedeutet unaufgeregt: Der spinnt.
Schön sind die weißen vorstädtischen Hochhaussiedlungen. Auch die Gesten wirken bedeutsam, etwa wenn einer der ständig rauchenden Gangster seine Zigarette immer zwischen Daumen und Zeigefinger hält. Manchmal muss man lachen, wenn die vier Helden in einem Stau stehen und das Auto einfach verlassen, mit der U-Bahn weiterfahren und sich später ein neues Auto besorgen. Manchmal ist man auch plötzlich schockiert, wenn der Film, in dem man sich begonnen hatte auszuruhen, plötzlich gewalttätig wird. Manche Einstellungen sind wunderschön melancholisch, besonders wenn bei einem Bild am Meer Himmel, Wasser und Sand so hell ineinander übergehen.
Der Coolness-Faktor dieses Films ist recht hoch. Es geschieht, ohne dass große Spannungsbögen notwendig wären. Kazushi Watanabe hat es nicht nötig, dies Nichtgeschehen, in dem alle stecken, das sie alle ständig mit einer billigen Kamera fotografieren, pathetisch aufzublähen. Am Ende ist der letzte Wagen, den man geklaut hat, zu klein für alle, und einer muss gehen. DETLEF KUHLBRODT
„19“. Regie: Kazushi Watanabe. Mit Ryo Shinmyo, Kazushi Watanabe, Takeo Noro u. a., Japan 2001, 83 Min.
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