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Ende des gesicherten Bereichs

Zwei musikalische Vertreter der Abteilung Garten- und Landschaftsbau sind heute im Lagerhaus zu Gast: „Illusion Of Safety“ und Thomas Köner

Aus Klicken, Kratzen, Fiepen und Wummern entstehen Landkarten einer „terra incognita“

Es muss ungefähr zu der Zeit gewesen sein, da das Time-Magazin den Computer „wegen der enormen Auswirkungen auf das Alltagsleben“ zum „Mann des Jahres“ kürte. Sicherheitsrisiken hatte niemand auf dem Schirm, von Datenschutz sprach kaum einer. Und Cookies nahmen die Leute noch zum Tee.

Zufall vielleicht, aber auch irgendwie passend, dass 1983 in Chicago ein gewisser Dan Burke dem Sound-Projekt, das er aus der Taufe hob, ausgerechnet den Namen „Illusion Of Safety“ gab. Im vergangenen Jahr erschien mit „In Opposition To Our Acceleration“ der vierzehnte Longplayer – deutlich verlangsamter als die erste Platte von 1988.

Alles andere als die Beschleunigung der Welt verspricht Burkes Auftritt am Donnerstag im Lagerhaus. Im Paket mit dem ebenfalls recht leisegängerischen Thomas Köner. Steht er sonst mit bis zu zwölf Leuten auf der Bühne, spielt Burkes „Illusion Of Safety“ diesmal solo. Sicherheit, oder besser: die Abwesenheit derselben, spielt in den knapp zwanzig Jahren, die das Klangforschungsprojekt nun dauert, eine wesentliche Rolle. Er selbst beschreibt, was herauskommt als „zerstörte Musik, zerbrochener Klang, gestörte Ambience“ und die Suche nach dem Sublimen. Klänge an der Grenze des Wahrnehmbaren werden zu einer Art „language of error“ re-arrangiert. Aus Klicken, Kratzen, Fiepen und Wummern entstehen imaginäre Landkarten einer „terra incognita“.

Das scheint ein Nenner zu sein, auf den man zahlreiche „sound sculptural artists“ bringen kann. So hat der Schwede CM von Hauswolff einen fiktiven Staat erfunden, der tatsächlich einige „Botschaften“ unterhält. Und auf der aktuellen Platte Köners steht in der Mitte einer Landkarte der Titel – „Unerforschtes Gebiet“.

Zu dieser – im Sinne des Forschungsauftrags tatsächlich neuen – Musik gehört nicht nur, dass man gewohnte Pop- und Rockpfade verlässt, sondern auch, dass gängige Instrumente weitgehend ignoriert werden. Die Klänge, die elektronisch verändert und aufbereitet werden, kommen meist aus nichtmusikalischen Zusammenhängen. Sie funktionieren also anders als etwa das Sampling, mit dem die eine Musik in einen anderen Zusammenhang gestellt wird.

Bei Burke wie bei Köner steht die Palette verschiedener Klangfärbungen im Mittelpunkt. Es geht um Grenzen: Wo hört Musik auf? Wie leise kann Krach sein?

Extreme sind hier zu Hause. Auch gibt Burke gern zu, seine Arbeiten sollen konfrontativ sein. Eben weil mit dem Fehler, der Störung, der „Verunreinigung“ die Musik nicht zu Ende ist – sie fängt hier erst an. „Decomposition“ nennt er das. Melodie und Rhythmus werden sorgsam vermieden. Die Musik ist schleifenartig aufgebaut. Sie muss sich, soll sie funktionieren, im Kopf breit machen, bis sonst nichts mehr da ist. Bis auch die letzten Vergleiche verstummt sind. Das klingt wie... Oder, nein, das klingt nach...

Das Ausgangsmaterial zu „Unerforschtes Gebiet“ etwa besteht in dem mit Mikrophonen aufgezeichneten Ton, den ein verunreinigtes Stück Zelluloid in einem Filmprojektor produziert. Das klingt wie eine Gewitterfront am Horizont, die sich langsam auf einen zuschiebt. Bedrohlich wird’s aber nicht durch Bombast, sondern gerade durch die leise aber unentrinnbare Präsenz. Umso bedrohlicher im direkten Kontakt, da der Kiotosaal für die 14. „Beiträge zu kulturellen Aufklärung“ extra mit einer Rundum-Soundanlage ausgestattet wird. Man muss schon einer eigentümlichen Vorstellung von abendlichem Vergnügen anhängen, um Spaß dran zu haben. Aber es geht. Tim Schomacker

„Beiträge zur kulturellen Aufklärung Nr. 14“. Heute um 20 Uhr im Lagerhaus. Zum Konzert erscheint bei „Die Stadt“ eine CD mit neuen Arbeiten von „Illusion of Safety“ und Thomas Köner

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