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crime sceneKriminalromane als Weihnachtsgeschenke

Wir kümmern uns um den Rest!

Sag uns, welche Krimis du verschenken willst, und wir kümmern uns um den Rest! (Wie bei dieser Bank, die mit Jürgen Vogel und Musik von Air wirbt – oder war es jetzt doch die Versicherung mit Eric Satie im Soundtrack? Egal, jemand kümmert sich, und du lebst. Und zahlst. So einfach.) Du verschenkst dieses Jahr also Krimis. Das kommt immer gut an und hilft dem Fremdbild. Nichts (re)positioniert besser als gezielt eingesetzte Kriminalliteratur. Das kann aber natürlich noch nicht alles gewesen sein. Der Trend geht zum Zweit-, Dritt- oder gar Paketgeschenk. Darum hier ein grober Leitfaden.

Hardboiled, scheinbar ausnahmslos männliche Helden: Wird am besten mit einer Flasche nicht zu teurem Alkohol kombiniert, wahlweise Zigarrenstumpen, Kautabak oder Crack, je nach Provenienz und Einkommensverhältnissen des Helden. Handelt es sich zudem um eine Geschichte mit typischem Noire-Strudel – das Unglück wird immer schneller immer schlimmer –, können auch extrem billige Lebensmittel und fadenscheinige Kleidungsstücke eine reizvolle Ergänzung darstellen. Method Acting für Krimi-Leser.

Schnurrige Autorinnen, gern englische, weibliche Helden: Zunächst feinster First-Flush-Spitzen-Tee, dann alles andere, was warm hält, von innen wie von außen – also vom selbst gebrannten Likörchen über die Wollstola bis zur Perserkatze. Notfalls ein gemeinsamer Kurztrip nach Miami, wenn es sich um eine wirkliche wichtige Person handelt – dann bitte darauf achten, dass die Willeford-Romane „Miami Blues“ und „Neue Hoffnung“ unentdeckt bleiben, das könnte sonst zur Verdunklung des Urlaubsbildes beitragen …

Skandinavier, sowohl als auch, tendenziell unterkühlt: Ein Dose Fisch macht sich immer gut. Der Alkohol sollte klar sein. Vielleicht zusätzlich eine dieser grünen Sprudeltabletten fürs Fichtel-Vollbad, die uns schon seit Jahren im Drogeriemarkt entgegenblinken. Sonst gibt es noch den Gutschein für die Sauna – aber bloß nicht dieser Wellness-Dreck, der ist ehrenrühriger als eine spendierte Schönheits-OP. Dunklere Werke wie „Selig sind die Dürstenden“ von der meisterhaften Norwegerin Anne Holt (bereits 1994 im Original erschienen und justament bei Piper als Taschenbuch herausgekommen) können mit einer Auswahl teurer, tropffreier Kerzen und Johanniskraut-Dragees erhellt werden. Romantisch wird es mit einem Trip an die norddeutsche Steilküste – die wahren Liebhabern des true crime achten aber bitte bei der Anreise darauf, falsche Spuren zu legen.

Franzosen, zumeist mehr als nur männlich: Ich lese momentan nur Jean-Patrick Manchette, von dem zuletzt „Westküstenblues“ und „Tödliche Luftschlösser“ erschienen sind. Für echte Frankophile, die augenscheinlich nicht totzukriegen sind, empfiehlt sich der „trendige“ Kultur-Bonus in Form von Videos oder DVDs. Der Knüller unter dem Weihnachtsbaum sind die Meisterwerke von Jean-Pierre Melville, z. B. „Le doulos – Der Teufel mit der weißen Weste“, „Le Samourai – Der eiskalte Engel“, „Le Cercle Rouge – Vier im Roten Kreis“ und „Un flic – Der Chef“. Wem das noch nicht reicht, der kann mit Rui Nogueiras Buch „Kino der Nacht – Melville über Melville“ Freude schenken.

Regionalkrimis, deutsch: Egal, so oder so wird dieses Genre erst in der Variante akzeptabel, die das Gefälle Nord-Süd bzw. Ost-West berücksichtigt. Grundsätzlich nichts verschenken, was im selben Landstrich spielt – das zeugt von schlichtem Gemüt! Lieber den Berliner mit einem Bündel lustiger Ruhrpottkrimis beglücken. Das bildet und erzeugt Verständnis für fremde Kulturen. Und als Reminiszenz an die Tage, als Multikulti noch kein Schimpfwort war, können die Bücher mit deftigen Spezialitäten aus einem weiteren Bundesland veredelt werden. Der synergetische Effekt katapultiert dieses Stiefkind der Kriminalliteratur in ungeahnte Höhen.

Cop-Romane: In diesem Zusammenhang bekommt ein Umschlag mit Bargeld atypischen Charme. Für Betroffene empfiehlt sich entweder eine Mitgliedschaft in der Polizei-Gewerkschaft oder, ganz nach Geschmack, ein Jahresabo für das Deutsche Waffenjournal. Berufsfremden schenkt man ein Paar Handschellen, die gibt es momentan sehr billig und mit denen lässt sich auch das Fahrrad „stylish“ anschließen. Wahlweise tut es aber auch eine billige Thermoskanne und eine große Tüte mit buntem Naschkram.

Klassische Detektivromane, männlich: Da war die Welt noch in Ordnung. Verschenkt sich am besten solo. Nackt und ohne Bedenken.

LARS BRINKMANN

Anne Holt: „Selig sind die Dürstenden“. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. 224 S., 8,90 €ĽJean-Patrick Manchette: „Tödliche Luftschlösser“. Aus dem Französischen von Stefan Linster. Distel, Heilbronn 2002, 200 S., 10,80 €ĽJean-Patrick Manchette: „Westküstenblues“. Aus dem Französischen von Stefan Linster. Distel, Heilbronn 2002, 176 S., 10,80 €ĽRui Nogueira: „Kino der Nacht – Melville über Melville“. Hg. von Robert Fischer. Alexander Verlag, Berlin 2002, 350 S., 19,90 €ĽCharles Willeford: „Miami Blues“. Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. Alexander Verlag, Berlin 2002. 250 S., 10 €ĽCharles Willeford: „Neue Hoffnung für die Toten“. Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt und Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2002, 250 S., 10 €

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