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Das Liza-Plastinat

Kann denn die Kinder keiner lehren, wie man singt? In hübschen Bildern und mit heiterer Choreografie spielt Bremens Musical-Theater die 60er-Jahre-Version von„My fair Lady“ nach – ohne deren Vokalbrillanz zu erreichen

Ach, wie waren sie schön, die späten 50er-Jahre und der Anfang der Sixties! Damals, als Frederick Loewes und Alan Jay Lerners „My fair Lady“ herauskam und schnell zu dem Musical schlechthin avancierte. Zunächst und vieltausendmal à la suite am Broadway gespielt, dann, zehn Jahre nach der Premiere unvergessen sentimental verfilmt – mit der entzückenden Audrey Hepburn als Liza!

Auch in Deutschland feierte das Stück Triumphe:Um das Happy-End – sprich die Rückkehr Lizas zu ihrem tyrannischen Lehrer Higgins – ergänzt war aus Bernard Shaws böser Pygmalionkomödie eine Apotheose seiner perversen Sprecherziehung geworden. Kein Wunder also, dass die Inszenierung am Berliner Theater des Westens mit niemand geringerem als Karin Huebner-Rüggebrecht, dem legendären Paul Hubschmid und – Gottchen, was waren das selige Zeiten! – dem perlweiß lächelnden Rex Gildo in den Hauptrollen zum Erfolg geriet: Nichts wäre besser geeignet gewesen, die heitere Muse der Adenauer-Ära zu inkarnieren.

Am Sonnabend hat sie am Bremen wieder Einzug gehalten: An diesem Tag hatte die deutsche Version von „My fair Lady“ am Musical Theater Premiere. Wer allerdings die Hoffnung hegte, Helmut Baumanns und Jürg Burths Aufführung würde mehr sein als eine Reprise, der lässt sie gleich mit der Ouverture fahren. Werktreu, als wär’s kein Potpourri, sondern ein ausgetüftelt-gedankenschweres Wagner-Vorspiel, mühen sich die Bremer Philharmoniker unter Stefan Klingele, das Medley so klingen zu lassen, wie‘s damals klang…

Ach ja, damals, ach, als noch der gute Franz Allers mit dem Orchester des Theaters des Westens jazzte. Die Tempi sind identisch mit denen der beliebten Original Philips-Langspielplatte, stereo!, aber auch mono abspielbar. Nur das Schlagzeug entkommt seiner philharmonischen Härte nicht: It ain’t got a swing.

Ratsch geht der blaue Vorhang auf und das Publikum blickt in eine entzückende Puppenstube. Das ist, hübsch markiert von dorischen Säulen, Covent Garden, im Hintergrund simuliert der Schattenriss einer Oldtimer-Kolonne den schon damals dichten Straßenverkehr, und im Vordergrund bietet berlinernd die wohlbekannte Liza Doolittle Veilchen feil: Die temperamentvolle Ruth Brauer spielt die Göre mit Kodderschnauze ganz im Geiste von Huebner-Rüggebrecht und Hepburn und sogar – darf man’s sagen? – eine Spur kesser.

Das liegt einerseits daran, dass Baumann behutsam wenigstens von der Choreografie ein wenig den Staub gepustet hat. Vor allem aber kann die Frau aus Wien auch wirklich singen und tanzen. Das zeichnet sie unter den übrigenAkteuren des Abends aus.

Selbst Baumann, sonst eine sichere Bank seiner Produktionen, wirkt gesanglich im ersten Teil leicht indisponiert, aber das bessert sich. Karsten Küsters zeichnet sich als Komödiant aus, doch die Songs von Alfred P. Doolittle liegen für ihn mindestens einen Halbton zu tief, er versackt bei „Der Herrjott schuf den Männerarm wie Eisen“. Über die Piano-Lautstärke kriegt er die Gröllarie nicht gedrückt – was besonders auffällt, weil die Saufkumpane den Evergreen nach Drohrufen aus einem Fenster, leiser wiederholen müssten – wie’s halt immer gemacht wird. Den Freddy? Den tanzt Jochen Schmidtke so sprungkräftig, wie er ihn stimmschwach quäkt.

Wohl gemerkt, die Produktion wird trotz Mängeln unfehlbar Erfolg haben: Nostalgie steht hoch im Kurs. Es wäre jedoch ein Irrtum zu vermuten, sie könne irgend etwas ins Leben zurückrufen. Genau genommen will sie das nicht einmal: Ihr einziges Ziel ist es, den schönen Leichnam zu bewahren.

Benno Schirrmeister

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