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Der Sound der Stadt ist die Ruhe

Nach Universal siedelt sich nun auch MTV am Spreeufer an. Schon wird die Gegend um die Oberbaumbrücke als „Musiccity“ gehypt. Doch weitere Synergieeffekte sind kaum auszumachen. Und die Mitarbeiter genießen vor allem eins: die Stille am Fluss

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Ausgerechnet Olaf Menzels Skandalskulptur „13. 4. 1981“ steht da am Ufer der Spree. Die Arbeit hat 1987 beim West-Berliner „Skulpturenboulevard“ auf dem Kurfürstendamm für einen wahren Volksaufstand gesorgt hat. Denn die aufeinander getürmten Polizeisperren, dekoriert mit Einkaufswagen und Pflastersteinen, erinnern an eine legendäre Demonstration.

200 Schaufensterscheiben waren damals auf dem Ku’damm zu Bruch gegangen, nachdem in den Berliner Medien die Falschmeldung lanciert worden war, dass das RAF-Mitglied Sigurd Debus im Hungerstreik gestorben sei. Die Desinformation war im Vorfeld der Berliner Parlamentswahlen in Umlauf gebracht worden und sollte die Wähler zugunsten der CDU beeinflussen. Olaf Menzel bekam nicht nur schlechte Presse, sondern auch Drohbriefe und anonyme Anrufe, bis er Berlin schließlich entnervt verließ. Nun ist die einst klassenkämpferische Kunst ausgerechnet neben einem der unzähligen Investorenprojekte des Neuen Berlins gelandet. Die Firma Wert-Konzept ließ die Arbeit restaurieren und stellte sie neben das von ihr sanierte ehemaligen Eierkühlhaus an der Oberbaumbrücke auf.

Hierhin ist im Sommer aus Hamburg der Musikkonzern Universal Music gezogen. Und seit in der vergangenen Woche auch MTV bekannt gegeben hat, dass der Sender im kommenden Jahr in die frisch renovierte Behala-Lagerhalle am Osthafen ziehen will, kursiert schon das Schlagwort von der „Musiccity“, die angeblich am nördlichen Ufer der Spree entsteht.

In der Tat hat sich in einer der letzten Mauerbrachen in der Berliner Innenstadt eine Reihe von Clubs angesiedelt: In unmittelbarer Nähe befinden sich unter anderem die Großraumdiscos Matrix mit ihrer neu eröffneten „Narva-Lounge“ und der Speicher. An der Mühlenstraße gegenüber der Eastside Gallery sind das Casino – dessen Mitvertrag gerade verlängert wurde – und das Ostgut, das am 4. Januar schließen muss. Dort will US-Investor Anschutz eine große Sportarena bauen. Im Sommer finden in einem der ältesten halblegalen Clubs Berlins, dem Stellwerk oberhalb der Bahntrasse, Partys statt.

Nachdem es in Mitte und Prenzlauer Berg immer schwieriger wird, billige Räume für Clubs zu finden, ist auch Kreuzberg, das lang als unhip galt, wieder zu einem attraktiven Standort geworden: Auf der südlichen Seite der Spree hat vor gut einem Monat der Club Water-Gate eröffnet, der aus den Hard:Edged-Partys im alten WMF in der Ziegelstraße hervorgegangen ist. Und das Maria am Ufer hat seit einigen Wochen an der Schillingbrücke in dem ehemaligen Techno-Club Deli wiedereröffnet, nachdem es seinen langjährigen Standort am Ostbahnhof aufgeben musste. In der Schlesischen Straße findet sich zudem eine Reihe kleinerer Plattenlabels.

Doch wie ein Zentrum des Berliner Musiklebens sieht die Nachbarschaft um die Oberbaumbrücke noch nicht aus. Nachts sieht man zwar gelegentlich Raver vom Bahnhof Warschauer Straße zu einem der verschiedenen Clubs ziehen. Aber tagsüber steht man recht allein auf der Friedrichshainer Seite der Brücke an der zugigen und verkehrsreichen Kreuzung von Stralauer Allee und Oberbaumbrücke. Während es im äußersten Zipfel von SO 36 auf der Kreuzberger Seite in der Schlesischen Straße diverse Kneipen, Restaurants und Geschäfte gibt, ist hier so gut wie keine Infrastruktur.

Eine Bank würde sich Sophie Greiner, die Pressesprecherin von Universal, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft schon wünschen. Ansonsten ist sie mit dem neuen Standort ihres Arbeitgebers zufrieden. Sie ist froh, dass der Musikonzern nicht an den zuerst anvisierten Standort in Mitte gegenüber dem Monbijoupark gezogen ist: „In drei Jahren ist Mitte so zugebaut, dass es keinen Spaß mehr machen wird. Dann fahren da nur noch Touristenbusse herum.“ Die Gegend um die Oberbaumbrücke habe dagegen viel mehr Flair, meint Greiner, die sich darauf freut, „mitzuerleben, wie sich die Gegend entwickelt“.

Auch Nilgün Öz, Eventmanagerin bei Universal, freut sich, dass sie in dieser Nachbarschaft „in Ruhe arbeiten kann, weil es so abgeschieden ist“. Ihr Kollege Jörg Heidemann hebt allerdings auch die relativ zentrale Lage hervor: eine U-Bahn-Station sei in der Nähe und man sei mit dem Fahrrad schnell in Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain. Der ehemalige Hamburger genießt an seinem neuen Arbeitsplatz vor allem „den geilen Ausblick“ über die Spree und die „wunderschöne“ Oberbaumbrücke, die er von seinem Büro im 8. Stock hat. Dass es in der Nachbarschaft keine Restaurants oder Imbisse gibt, in die man in der Mittagspause gehen kann, stört ihn nicht: „Wir haben eine Super-Kantine“, und nach der Arbeit sei er schnell zu Hause in Kreuzberg.

Relaxt und verschlafen

In das lange als verschlafen und ewiggestrig geltende Kreuzberg sind viele der Universal-Mitarbeiter gezogen, als über die Hälfte der 500 Mitarbeiter aus Hamburg nach Berlin kam. „Kreuzberg ist total relaxt und lebendig und hat es nicht nötig, sich wichtig zu machen“, findet Heidemann. Auch in der Gegend um die Warschauer Straße wohnen viele Angestellte von Universal. „Die Simon-Dach-Straße ist schon fast so eine Art ‚Universal Melrose Place‘ geworden“, sagt Sophie Greiner, weil dort so viele ihrer Kollegen hingezogen sind. Auf die neuen Nachbarn von MTV freut sie sich schon: „Für uns spart das viel Geld, weil wir unsere Stars dann nicht mehr nach München schicken müssen. Man kann einfach laufen.“

Auf die Nachbarschaft strahlen die Musikfirmen bisher noch nicht aus. Nur wenige 100 Meter vom Universal-Gebäude entfernt liegt ein weiteres Investorenprojekt: die Oberbaum-City, in der noch reichlich Büroflächen zu vermieten sind. In einem italienischen Bistro sitzen zwar einige junge Menschen bei einem späten Mittagessen, und einen Kiosk gibt es auch. Aber ansonsten sind die Straßen um die ehemalige Narva-Glühlampenfabrik seltsam menschenleer. Beim einstigen Branchen-Wunderkind Pixelpark blickt man durch die Fenster auf leere Schreibtische. Und im Foyer ist auf einer Installation aus fünf Computermonitoren nur eine Windows-Fehlermeldung zu sehen.

Jenseits der Ehrenbergstraße verliert das ehemalige Industrieviertel dann jeden Glanz. Die meisten Häuser sind unsaniert, hier und da ist eine DDR-Fahne oder Hammer und Sichel auf einem Balkon zu sehen. In der eiskalten Luft liegt ein starker Geruch nach Ofenheizung, von der Stralauer Allee ist zwischen den Altbauten leise das Verkehrsrauschen zu hören, und der Getränkemarkt „Pleitegeier“ hat seinem Namen folgend auch schon wieder geschlossen. Außer ein paar kleinen Tante-Emma-Läden und einem Schlecker gibt es hier keine Geschäfte, dafür aber drei Berliner Eck-Kneipen, von denen das Bandog mit dem Slogan wirbt: „Viermal das gleiche Getränk, das fünfte kriegst du geschenkt“. Vom „Zur Glühbirne“ ist außer einem schön gemalten Schild nichts geblieben, aber bei „Pamela“, einer Kneipe für „Leute von heute“ mit Eisbein auf der Speisekarte, sitzen am Nachmittag schon ein paar Zecher an der Theke. Die neue Zentrale von Universal kennen sie, aber: „Hierher kommen die bestimmt nicht.“

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