: Sortieranstalt Gymnasium
Keine Zeit mehr zum Beobachten: Gymnasien sollen von Anfang an sortieren. Sie sollen nicht sich, sondern ihre Schülerschaft ändern. „Fehlbeschulte Schüler“ kosten nämlich nur Geld. Bei einer Konferenz der Schulleiter aller Gymnasien gewährt neuer Abteilungsleiter Einblicke in die Zukunft
Bei einer Konferenz der Schulleiter der Hamburger Gymnasien gab Norbert Rosenboom, in der Schulbehörde bislang Personalchef und neuerdings Abteilungsleiter Gymnasien, die Zukunft vor. Und die lautet: Sortieren und standardisieren. Das geht aus dem Protokoll der Sitzung hervor, das der taz vorliegt.
Das Protokoll gewährt Einblicke in ein bildungspolitisches Weltbild, das davon ausgeht, dass an Schulen höchstens die Schüler verkehrt sind. Deshalb soll das Gymnasium „fehlbeschulte Schüler“ spätestens Ende der sechsten Klasse auf Haupt-, Real- oder Gesamtschule schicken.
Das Wahlrecht der Eltern solle zwar erhalten bleiben. Aber: Die Ergebnisse von „Orientierungsarbeiten nach verabredeten Standards“, die in der dritten Klasse geschrieben werden, sollen in die Elternberatung einfließen und „Entscheidungen besser steuerbar“ machen.
Rosenboom sieht das Gymnasium als traditionelle „Lehranstalt der wissbegierigen Lernhaltung“, beklagt jedoch Leistungsunterschiede zwischen den Schulen. Gerade jetzt, wo das achtjährige Gymnasium durch die Schulzeitverkürzung „Leistungserwartungen intensiviere“, müsse jede Schule „das Risiko fehlbeschulter Schülerschaften“ aufdecken und korrigieren.
Wenn jemand in die Klasse 7 des Gymnasiums gekommen ist, soll danach „in der Regel kein Querwechsel in andere Schulformen möglich sein“. Schon Ende der 5. Klasse sollen „deutlich überforderte Schüler die Schulform wechseln“. Denn: „Fehlerhafte Schullaufbahnentscheidungen zum Ende der Klasse 6 erbringen unnötige Kostensteigerungen des gesamten Schulsystems (...) und sind unter dem Ziel gesetzter Standards schwieriger tragbar.“
Überhaupt: Standards. Die sind „zentral wichtig“. Klare Ansage: Schwierig sei die neue Situation möglicherweise für die Lehrer, „die bisher die Innovation von Pädagogik in den Schulen angeführt haben, die sich fortgebildet haben und didaktisch und methodisch innovativ auf die Schüler ihrer Schule ausgerichtet haben.“ Es gilt, sie zu überzeugen, „dass ihnen deutlich wird, dass die Zielvorgabe in ihrer Vergleichbarkeit unabdingbar ist, selbst wenn sie die typische Einzellösung aufzuheben scheint“. Dabei soll das neue Landesinstitut helfen, das komplette Kollegien fortbilden soll.
Die Schulpolitikerinnen der politischen Opposition sind über Ton und Inhalt entsetzt. Britta Ernst (SPD), sieht auf „brutale Weise den Kurs des Senats bestätigt“. Er tue so, als hätten Gymnasien keinen Reformbedarf, nur die falschen Schüler. Faktisch schaffe diese Politik Beobachtungsstufe und den Elternwillen ab. „Lehrer maßen sich eine Diagnostik an, die sie oft nicht haben. Wenn die Eltern das korrigieren, wird ihnen künftig die rote Karte gezeigt.“
Christa Goetsch (GAL) verortet an Hamburgs Gymnasien „blanken Darwinismus“ und ein Ende des Förderns. Sie kritisiert verschärfte Selektion und ein pädagogisches Leitbild, das sich gegen innovative LehrerInnen wendet. Sie empfiehlt, „nichteingestellten Kollegen, Nachhilfeinstitute zu eröffnen“. Die würden gebraucht. SANDRA WILSDORF
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