: Galicien jenseits der Ölpest
Die verheerende Umweltkatastrophe an der „Todesküste“ macht Schlagzeilen – und präsentiert der Öffentlichkeit eine Region, die gar nicht so recht spanisch wirkt: Dudelsack statt Gitarre, Wildpferde statt Stiere. Ein Blick über die Verseuchung hinaus
von TOBIAS BÜSCHER
Dolores País Fuentes hat noch nie das Meer gesehen. Sie lebt umgeben von Mardern, Wildschweinen und Wölfen in dem winzigen Ort Moreda im Naturschutzgebiet O Courel. Das Dorf in der Provinz Ourense wurde erst vor wenigen Jahren an das Stromnetz angeschlossen. Seit kurzem hat Dolores einen Fernseher, doch den würde sie lieber gleich wieder abschaffen.
Gut 200 Kilometer entfernt ersticken Kormorane und Papageientaucher an ihren verklebten Schnäbeln, fluchen Fischer ihre Wut in die laufenden Kameras, sind die Restaurants am Atlantik belebter denn je – Katastrophentourismus.
Dolores und ihr Mann Divonso sind Bergbauern, backen ihr eigenes Brot. Mit dem, was Galicien berühmt macht, haben sie wenig zu tun: dem Pilgerziel Santiago de Compostela mit der schönsten Kathedrale Spaniens, dem Fußballclub Deportivo La Coruña mit den besten brasilianischen Spielern und eben der rauen „Todesküste“, vor der schon zahlreiche Boote untergingen, gelegentlich auch mit einer hochgiftigen Fracht wie jetzt die „Prestige“ oder 1992 die „Aegean Sea“.
Die Fischerdörfer sind plötzlich mitten im Winter Recherchethema. Reporter erklären, dass die „Todesküste“ so heißt, weil hier seit Jahrhunderten die meisten Schiffsunglücke der gesamten iberischen Küste passierten. Die ganze Welt hört jetzt von Spaniens größter Miesmuschelzucht bei Vigo, von den Entenmuscheln bei Corme und Laxe, von den gigantischen Zuchtanlagen für Steinbutt. All dies ist auf Monate hinaus wegen des giftigen, extrem schwefelhaltigen Schweröls lahmgelegt. Die Zukunft der wichtigsten Fischereiküste Spaniens mit 1.200 Kilometern Länge ist in Gefahr, Folgeschäden noch gar nicht abzusehen.
Im Schatten der Ölpest und der Fernsehkameras liegt eine Region, die Neugierige in Erstaunen versetzt. Da stehen Maisspeicher, die mit dem Kreuz und dem wenig christlichen Fruchtbarkeitszeichen der Kelten verziert sind: der phallusförmigen Fica. Da schalten Hexen Anzeigen gegen den „bösen Blick“ und behaupten, mit den Elementen Wasser, Feuer, Erde und Luft jeden Spuk beseitigen zu können. Da galoppieren plötzlich kleinwüchsige, kräftige Wildpferde an einem vorbei, die teils noch nie zuvor einen Menschen gesehen haben.
Knapp drei Millionen Menschen gibt es hier in einer der entlegensten Regionen Europas. Sie leben auf einer Fläche etwa so groß wie Belgien (29.500 Quadratkilometer) und sind der virulente Gegenbeweis aller Klischees, die über Spanien im Umlauf sind. Wer hier Don Juan, Carmen, glutäugige Flamencotänzer und bullige Kampfstiere vermutet, wundert sich. Galicier gelten eher als vorsichtig denn als feurig, spielen gerne Dudelsack statt Gitarre und besuchen wie Dolores und Divonso eher „weise Frauen“ als eine Universitätsklinik. Nicht Stiere treiben sie durch die Gassen, sondern Wildpferde von den Hügeln herab.
Hier haben sich einst Kelten niedergelassen, so genannte Galaicos. Die Römer machten der Kultur von Frauen beherrschter Keltensiedlungen jäh ein Ende, doch ihren Namen besiegten sie nicht. Aus Galaicos wurde Galicien.
Im gebirgigen Hinterland ist der Fortschritt noch weit entfernt, den sieht man eher in den Metropolen der Atlantikküste. Und während dort Generationen über Generationen gegen die Unwetter an der „Todesküste“ kämpften, hatten die Bewohner der inneren Provinzen Ourense und Lugo vor allem im 19. Jahrhundert unter der Landflucht zu leiden. Der Hunger trieb sie nach Lateinamerika, auch eine Familie namens Castro, dessen Nachkomme Fidel einen offensichtlichen galicischen Charakterzug trägt: Der Mann ist nicht kleinzukriegen.
Das gilt im Grunde auch für den stockkonservativen galicischen Regierungschef Manuel Fraga, letztes Fossil der Franco-Regierung, der sich noch im höchsten Alter an der Macht hält und gerne erzählt, wie er mit seinem Kumpel Franz Josef Strauß einst bayerisches Bier aus Kübeln trank. Und das galt im Grunde auch für Franco selber, der in der Hafenmetropole Ferrol zur Welt kam und später als Diktator sogar seine eigene Heimatsprache verbot: das Galicische.
Viel ist in diesen Tagen von der Fischerei die Rede. Galicier arbeiten gleichzeitig noch bis zu fast 40 Prozent im Agrarsektor. Der Anbau von Mais gehört zu den Standards, doch vermehrt auch der „grüne Tourismus“. Landhäuser sind in einstigen wappengeschmückten Adelspalästen aus Granit enstanden, in entlegenen Dörfern und auf hohen Klippen. Sie gehören zum Besten, was Spanien an ländlichem Tourismus zu bieten hat, sogar behindertengerecht gebaut und außerhalb des Landes kaum bekannt.
Galicier sind eine ganz eigene Bevölkerung, haben dies aber – anders als die Basken – nie vehement in den Vordergrund gestellt. Mit ihren autonomen Rechten sind sie relativ zufrieden, sehen in der Landesregierung in Madrid keinen zentralistischen Dominator. Nördlich von Portugal beheimatet sind sie Schotten ähnlicher als Andalusiern und zwischen ihnen herrscht entsprechend eine ständige Witzelei. Die da oben, sagen die Sevillaner, kommen schon mit einem Regenschirm zur Welt, so sehr regnet es da. Die da unten, kontern die Galicier, liegen ganz richtig: „ wir sind eben etwas praktischer veranlagt – weil uns die Mittelmeersonne nicht das Hirn wegbrennt“.
Die andalusischen Großgrundbesitzer bekommen Subventionen wie jetzt endlich auch die Fischer an der Atlantikküste. Für das Bergdorfpaar Dolores und Divonso ist dies eine Selbstverständlichkeit. Sie selber dagegen haben staatliche Hilfe kaum in Anspruch genommen und die Reporter kamen auch erst ein einziges Mal: als hier als einem der letzten Dörfer Galiciens Strom gelegt wurde. Ohne dies hätte es Tage gedauert, bis die beiden von der Ölkatastrophe überhaupt gehört hätten. Dolores gruseln die Bilder auf dem Bildschirm so sehr, es wäre ihr ganz recht gewesen.
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