Architektur und Fotografie: Vom Nutzer in Besitz genommen
Moderner Architektur im alltäglichen Gebrauch ist ein Buch des Fotografen Iwan Baan gewidmet. Kunstautonomie möchte er der Architektur nicht zugestehen.
Wer sich ein bisschen mit zeitgenössischer Architektur befasst, kommt an Iwan Baan nicht vorbei. Zwar ist der Niederländer kein Global Player der Architektur wie Norman Foster oder Rem Koolhaas, allerdings ist es die Arbeit des Fotografen Baan, die uns die in Schanghai, Singapur und anderen Drehscheiben des Finanzkapitals beheimateten Bauten der Turbomoderne erst vors Auge stellt.
Anders als der Architekturfotograf Julius Shulman, dem Kevin Vennemann in einem Essay vorgeworfen hat, mit seiner ikonisierenden Inszenierung der Bauten einen Verrat an ihrem utopischen Potenzial betrieben zu haben, unterschlägt Baan nie die architektonischen Intentionen – was in Teilen auch der Utopiearmut der zeitgenössischen Architektenelite geschuldet sein mag.
Doch auch Vennemanns Kritik an der Architekturfotografie im Allgemeinen, sie ließe sich zu oft von der Silhouette ihrer Sujets verführen, verfängt bei Baan nicht: Monumentale Kulisse mit kleiner, verlorener Figur wie in einem De-Chirico-Gemälde ist eher Ausnahme denn Regel. Auf seinen Aufnahmen wird der Bau nie zur Skulptur, zur Egoprothese seines Schöpfers.
Immer bleibt er Motiv innerhalb einer städtischen Symphonie und somit Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Städte, Häuser, so scheint es, sind für Menschen da; Kunstautonomie möchte Baan der Architektur nicht zugestehen. Daher inszeniert er Gebäude immer auch als Gebrauchsgegenstände, an die sich der Mensch anschmiegt, an denen er Abdrücke hinterlässt.
Chandigarh und Brasilia
Der Lars Müller Verlag liefert nun mit einer schmalen Publikation einen Anlass, sich näher mit der Arbeit dieses Fotografen zu beschäftigen. „Ex Nihilo – Eine Geschichte von zwei Städten“ heißt der Band mit Bildern Baans der zwei realisierten Utopien der Moderne: Chandigarh, von Le Corbusier geplant, und Brasilia, nach Entwürfen von Lúcio Costa und Oscar Niemeyer.
Sofort wird deutlich, dass beide Planstädte eben nicht als solche gezeigt werden, sondern als Entwürfe, von denen Menschen Besitz ergriffen haben. Anschaulich verdeutlicht dies beispielsweise die Aufnahme einer indischen Behörde, die mit ihrem chaotischen Ablagesystem Le Corbusiers intelligente Raumplanung ebenso konterkariert wie das Bild des Jungen, dessen Füße gemeinsam mit denen vieler anderer den Stadtplan um einen Trampelpfad erweitert haben.
Diese Diskrepanz von Entwurf und Wirklichkeit arbeitet Baan heraus, wenn er in der brasilianischen Hauptstadt den flugzeugförmigen Grundriss, den Plano Piloto, verlässt und die in keinem Plan vorgesehenen Arbeiterviertel als Appendizes zu den repräsentativen Bauten zeigt.
Angenehm zurückgenommen werden allerdings auch diese in Szene gesetzt, besonders der monumentale Congresso Nacional: Mal schleicht er sich wie zufällig aufs Foto, wenn fünf Männer den Sonnenuntergang beobachten. Ein andermal türmt er sich vor einem Himmel von aparter Schönheit auf, während im Vordergrund Passanten über regennassen, in der Abendsonne gleißenden Asphalt gehen.
Fotos für den Mainstream
Allein diese beiden Aufnahmen rechtfertigen den Kauf dieses Buches, das ansonsten, leider, eine recht lieblose deutsche Ausgabe einer englischen Baan-Monografie ist. Auch „Ex Nihilo“ wäre eine Monografie geworden, würde man das Buch in Deutschland nicht unter Cees Nootebooms Namen verkaufen: Der Starliterat hatte zur englischen Version einen passablen Essay beigesteuert, der jetzt mit monströsem Satzspiegel über 20 Seiten zur Einzelpublikation gestreckt worden ist.
Dieser sind die Fotografien nur noch zu Illustrationszwecken beigegeben. Eine solch übertriebene Aufhübschung im Sinne der Marktkompatibilität ist zwar bedauerlich, macht das Buch aber immerhin auch für Leser attraktiv, die sich ansonsten kein bisschen mit zeitgenössischer Architektur befassten.
Cees Nooteboom: „Ex Nihilio – Eine Geschichte von zwei Städten“. Lars Müller Publishers 2012. 80 Seiten, 24 Euro
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