: Arbeitsrichtlinien gegenüber chinesischen StudentInnen in den USA und Kanada
DOKUMENTATION
Anfang Mai des Jahres setzte sich der chinesische Diplomat Xu Lin (3. Sekretär der Erziehungsabteilung) aus der chinesischen Botschaft in Washington ab und bat in den USA um politisches Asyl. Er nahm dieses Papier aus der Botschaft mit, eine „Richtlinie der Staatlichen Erziehungskommission“ in Peking, verfaßt im März 1990 und unterschrieben vom chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng.
Das Dokument analysiert die Stimmung unter den 50.000 chinesischen Studenten in den USA und in Kanada und gibt Anweisungen, wie die Botschaften und der Geheimdienst mit ihnen verfahren sollen. Das Papier ist aber auch ein Dokument einer zutiefst verunsicherten KPCh, die sich noch nie so weit von ihrer Basis entfernt wußte.
hbo
Die Fahne des Patriotismus hoch halten und die politisch -ideologische Arbeit intensivieren; sich auf die tragenden Kräfte verlassen und sie vermehren. Die Mehrheit einschließen und für uns gewinnen, und die wenigen sehr aktiven regierungsfeindlichen Elemente bloßlegen und niederschlagen. Unsere Arbeit muß gemäß der oben genannten Richtlinien durchgeführt werden.
Wir müssen uns über die Notwendigkeit, Langfristigkeit und Schwierigkeit des Kampfes gegen Beeinflußung und Subversion im Klaren sein.
Aufgrund des politischen Standpunkts der Studierenden, ihrer Haltung gegenüber unserer Regierung, ihrer Reaktion auf die administrativen Maßnahmen und die Einwanderungspolitik der amerikanischen und kanadischen Regierung sowie aufgrund ihrer Einstellung zur Rückkehr beabsichtigen wir, sie in fünf Gruppen zu kategorisieren und dementsprechend unsere Gegenmaßnahmen festzulegen.
Die erste Gruppe: Hierzu zählen Studierende von relativ hohem politischen Bewußtsein. Sie vertreten einen vergleichsweise richtigen Standpunkt gegenüber regierungsfeindlichen Aktivitäten. Sie nehmen die Befreiung von der Rückkehrpflicht nicht an und werden zum Aufbau unseres Landes bereit sein oder gemäß der Richtlinien unserer Regierung, resp. Botschaften den vorläufigen Aufenthalt im Ausland regeln. Es sind Kräfte, auf die wir uns stützen können. Wir müssen sie entschlossen schützen fördern und sie so erziehen, daß sie die indifferenten Massen für sich zu gewinnen verstehen.
Die zweite Gruppe: Diese Studierenden haben ein patriotisches Herz und hoffen auf das Gedeihen und die Stärkung des sozialistischen Vaterlandes, sind aber mit unserer Politik und unseren Richtlinien nicht vorbehaltlos einverstanden. Sie stellen sich politisch nicht grundsätzlich gegen unsere Regierung und behalten Kontakte zu unseren Botschaften und Konsulaten im Ausland.
Aber sie haben sich noch nicht entschieden, eine andere Staatsbürgerschaft anzunehemen. Sollten diese Studierenden einen Paßwechsel gegen einen privaten Paß beantragen und sich bereit erklären, die Studienkosten zurückzuzahlen, kann dies akzeptiert werden.
Die dritte Gruppe: Hierzu zählen Studenten, die von den westlichen Wertvorstellungen tief beeinflußt sind. Politisch teilen sie nicht unsere Meinungen und Richtlinien. Sie sind auch nicht bereit, zurückzukommen, beteiligen sich aber auch nicht aktiv an den regierungsfeindlichen Aktionen. Auch diese Gruppe müssen wir zu erziehen versuchen. Beim Antrag auf private Pässe sind sie wie die zweite Gruppe zu behandeln.
Die vierte Gruppe: In dieser Gruppe befinden sich diejenigen, die sich aktiv an den regierungsfeindlichen Aktivitäten beteiligen. Diese müssen wir kritisieren, erziehen und mit Argumenten bekämpfen. Hier muß eine Politik angewandt werden, die darauf zielt, sie auseinanderzutreiben. Die Verlängerung der Pässe muß streng gehandhabt werden. Wenn jemand seine Haltung geändert hat, kann dies in einzelnen Fällen berücksichtigt werden. Die Stipendien der Studierenden dieser Gruppe können eingestellt werden. Außerdem müssen sie aufgefordert werden, die Kosten ihres Auslandsstudiums zurückzuzahlen. Ihre Rückkehr nach China sowie die Ausreisen ihrer Familienangehörigen müssen notwendigerweise eingeschränkt werden. Diejenigen unter ihnen, die ihre Einstellung tatsächlich geändert haben, können auch gemäß der Richtlinien für die dritte Gruppe behandelt werden.
Die fünfte Gruppe: die Hauptkräfte der konterrevolutionären, regierungsfeindlichen Aktionen. Wir müssen sie entlarven und angreifen. Zum entscheidenden Zeitpunkt müssen wir diejenigen, die sich bei besonders reaktionären Tätigkeiten als höchst einflußreich hervorgetan haben, aussuchen sie öffentlich bloßlegen und angreifen. Gegenwärtig werden wir unsere Angriffe auf die wenigen (bösen Bosse) der „Autonomen Studentenvereingung in den USA“ und der „Autonomen Studentenvereinigung in Kanada“ wie Liu Yonychuan, Xu Bangtai und Zhai Xiaohua konzentrieren. Bei ausreichender Beweislage muß ihnen ihre Identität als Studierende aberkannt werden. Sie müssen aufgefordert werden, sämtliche Kosten ihres Auslandsstudiums zurückzuzahlen. Die Gültigkeit ihrer Pässe darf nicht verlängert werden. Bevor sie nicht ihren regierungsfeindlichen Standpunkt aufgegeben und mit Taten ihre Reue unter Beweis gestellt haben, ist ihnen die Einreise nach China verboten. Ihre ursprünglichen Dienststellen sind angehalten, sie zu entlassen. Ihren Familienangehörigen sind Ausreisen zwecks Besuchs verboten.
Das leitende Prinzip ist: Wir müssen uns auf die tragende Gruppe (die erste Gruppe) stützen und sie verstärken, aber uns auch um die Mehrheit bemühen und sie für uns zu gewinnen versuchen. Für die, die sich an den regierungsfeindlichen Aktivitäten beteiligen (die vierte Gruppe) gilt die Politik des Auseinandertreibens. Einige wenige regierungsfeindliche Hauptaktivisten (die fünfte Gruppe) müssen mit aller Entschlossenheit bloßgelegt und niedergeschlagen werden.
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