Arbeitsrecht für Asylsuchende: „Wesentliche Hindernisse bleiben“
Schon nach neun Monaten arbeiten zu dürfen, ändere für Flüchtlinge wenig, findet Pro-Asyl-Chef Bernd Mesovic. Die Debatte in der Koalition werde nur zum Schein geführt.
taz: Herr Mesovic, Asylbewerber sollen künftig schon nach neun statt, wie bisher, nach zwölf Monaten einen Job annehmen dürfen. Diesem EU-Kompromiss hat Deutschland jetzt zaudernd zugestimmt. Was bringt das?
Bernd Mesovic: Sehr wenig. Das heißt nur, dass die Betroffenen drei Monate früher in einer Warteschlange stehen, in der sie praktisch keine Chance haben. Denn die wesentlichen Hindernisse, die ihnen den Weg auf den Arbeitsmarkt versperren, bleiben bestehen – etwa die Vorrangsprüfung, nach der kein deutscher Bewerber für den Job in Frage kommen darf, oder die Residenzpflicht, die es Asylbewerbern unmöglich macht, in anderen Bundesländern Arbeit zu suchen.
Die FDP würde das Arbeitsverbot am liebsten ganz abschaffen, der CSU geht die jetzt beschlossene Lockerung schon zu weit. Ist das ein echter Koalitionsstreit?
Das scheint mir eher eine Scheindebatte. Wenn die FDP konsequent wäre, dann müsste sie auch dafür eintreten, die anderen Hindernisse zu beseitigen, die ich genannt habe. Wir fordern, Asylsuchende vom ersten Tag an zu integrieren. Das aber löst in Bayern, dem Mutterland der deutschen Abschreckungspolitik, und Teilen der Union alte Abwehrreflexe aus.
Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer von der CDU sagt inzwischen, geduldete Flüchtlinge sollten an Deutsch- und Integrationskursen teilnehmen sollten. Ein Lichtblick?
58, ist rechtspolitischer Referent bei der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Der gelernte Politologe und Germanist lebt in Frankfurt am Main.
Das Bundesarbeitsministerium fördert schon jetzt Projekte, die der Nachqualifizierung von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen dienen, und seit diesem Jahr fallen da auch Sprachkurse darunter. Das ist ja auch sinnvoll, weil man weiß, das die Leute hier bleiben werden. Aber das müsste endlich auch offizielle Politik werden.
Warum tut sich Deutschland damit so schwer?
Die Bundesregierung hat Angst, sie würde damit einen Anreiz schaffen, nach Deutschland zu kommen. Die alten Abschreckungsgesetze, auf die man sich im Asylkompromiss von 1992 geeinigt hat, werden darum im Zweifelsfall auch da verteidigt, wo sie die Menschenwürde verletzten. Aber beim Asylbewerberleistungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht da jetzt zum Glück die rote Karte gezeigt.
Nach dem derzeitigen Verfahren muss der Staat über einen Asylantrag befinden, über den der Flüchtling zuerst in die EU eingereist ist. Länder wie Griechenland sind damit aber überfordert. Was folgt daraus?
Am Beispiel Griechlands ist klar geworden, dass man das nicht mehr so einfach laufen lassen kann. Die Überstellungen wurden bis zum Januar 2013 ausgesetzt. Doch in der Wirtschaftskrise ist es kaum zu erwarten, dass Griechenland ein adäquates Asylsystem inklusive Versorgung entwickelt. Statt Staaten wie Griechenland die Verantwortung für den Großteil der Flüchtlinge aufzunötigen, sollte man darum das System ändern.
Das Verfahren ist ein bürokratisches Monstrum, das von der Fiktion ausgeht, dass die Asylverfahren in Europa in etwa vergleichbar sind. Dabei gibt es da extreme Unterschiede – von den Anerkennungsquoten von Asylsuchenden bis zu ihrer Unterbringung.
Was schlagen Sie vor?
Humanitäre Belange, familiäre Bindungen und Sprachkenntnisse sollten bei der Aufnahme von Flüchtlingen berücksichtigt werden. Es ist doch absurd, dass jemand, der Angehörige in Deutschland hat, im Asylverfahren ganz woanders landet. Die Politik würde damit den realen Flüchtlingsbewegungen Rechnung tragen. Wir wissen doch, dass frankophone Afrikaner eher nach Frankreich wollen, während es die Kriegsflüchtlinge vom Balkan in den Neunzigerjahren eher nach Deutschland zog.
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