: Arbeitspflicht. Menschenwürde.
■ Hamburgs Sozialhilfeempfänger sollen weniger werden. Aber wie? Im Streitgespräch darüber Uwe Grund (sozialpolitischer Sprecher der SPD) und Dirk Hauer (Sozialreferent der Gruppe Regenbogen)
Hamburg betreibt in der Sozialhilfe die Politik der ,Neuen Steuerung', indem es jährlich Quoten von 2000 bis 3000 Fällen vorgibt, die aus der Sozialhilfe herausgelöst werden sollen. Warum?
Uwe Grund: Weil es dem gesetzlichen Ziel von Sozialhilfe entspricht, Menschen aus Armut zu lösen. Dem muss Hamburg auch folgen. Man ist nicht Sieger in der Republik, wenn man möglichst vielen Armen viel Geld bezahlt. Man ist Sieger, wenn man es schafft, Armut zu vermeiden. Deshalb sind diese Quoten als Ziele absolut nötig.
Dirk Hauer: Regenbogen lehnt diese Quoten ab, weil es hier eben nicht darum geht, Menschen aus Armut zu lösen. Sie sollen nur aus der Sozialhilfe gelöst werden. Diese Vorgaben führen zu einem Druck und einer Arbeitshetze bei den MitarbeiterInnen der Sozialämter. Und sie führen zu Leistungskürzungen bei den Sozialhilfeempfängern. Die ,Loslösung' hat nur das Ziel, Geld zu sparen. Wohin diese Menschen kommen, ob sie tatsächlich aus der Armut herauskommen oder nur in Armut trotz Arbeit geraten, wird nicht gefragt.
Herr Grund, wo bleiben die Leute, die ,losgelöst' werden?
Grund: Unser Ansatz ist ja bescheiden. Wir gehen davon aus, dass 25.000 bis 30.000 der 120.000 Sozialhilfeempfänger prinzipiell arbeitsfähig sind. Und es gibt jährlich 6000 Menschen, die neu in die Sozialhilfe kommen. Unsere generelle Stoßrichtung geht dahin, diesen Menschen sofort zu helfen, sie zu qualifizieren oder in Arbeit zu vermitteln, damit die Abhängigkeit von Sozialhilfe gar nicht erst entsteht. Dass nicht zwangsläufig dabei herauskommt, dass es den Menschen sofort sehr wohl geht, dass weiß Herr Hauer genauso wie ich.
Herr Hauer, Sie sagen, diese Politik provoziert neue Armut. Können sie das belegen?
Hauer: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist zurückgegangen. Dafür ist aber 1998 die Zahl der Menschen, die sogenannte aufsto-ckende Sozialhilfe beziehen müssen, um 6,8 Prozent gestiegen. Das ist ein Indiz für das, was man ,Working poor' nennt, ein Indiz für Armut trotz Arbeit. Ich finde es symp-tomatisch, dass diese Ziffer seit 1998 von der Behörde für Soziales nicht weiter beobachtet wird.
Ich möchte noch etwas zum Konzept sagen: Kein Mensch hat etwas gegen Hilfe zur Arbeit. Ich bestreite aber, dass es bei der Neuen Steuerung darum geht. Das vorrangige Ziel ist Kostenreduktion auf Teufel komm raus.
Grund: Das weise ich energisch zurück. Es ist nicht wahr, dass dies im Vordergrund der Debatte steht.
Hauer: Doch, dass wird in jeder Haushaltsdrucksache als Ziel genannt. Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sparinteresse und Neuer Steuerung.
Grund: Natürlich wird diese Kommune durch die Sozialhilfe stark belastet. Wenn man hier die Ausgaben der Stadt Hamburg anschaut, hatten wir dynamische Steigerungen, die fast zur Zahlungsunfähigkeit geführt hätten.
Gibt es denn Kontrollmechanismen, die verhindern, dass Einzelne unter die Räder kommen?
Grund: Bei der „Hilfe zur Arbeit“ und „Vermittlung in Arbeit“ wird ein ganz neuer Ansatzpunkt gewählt. Es wird nicht mehr zuerst darauf geschaut, was können die Menschen alles nicht, welche Vermittlungshemmnisse liegen vor, sondern, was können sie, welche Kompetenzen haben sie und wie kann man sie im Arbeitsmarkt unterbringen.
Wer prüft das?
Grund: Erstens die Mitarbeiter der Sozialämter, zweitens private Vermittlungsagenturen, die dafür eingerichtet wurden und zum dritten auch das Arbeitsamt. Wir haben ganz tolle Beispiele dafür, dass Menschen in einer scheinbar ausweglosen Situation ermutigt wurden, ihr Leben neu zu beginnen.
Hauer: Die Praxis sieht oft anders aus: Leute werden mit mehr oder weniger Druck in dubiose Leiharbeitsfirmen gezwungen. Es gibt keine Kontrolle der Behörden über die Qualität dieser Firmen. Da werden Menschen in Altona zu vierwöchigen Praktika gezwungen – ohne einen Pfennig Lohn. Das Problem ist, dass die Sachbearbeiter mit Kürzungen drohen, wenn solche ,Angebote' nicht angenommen werden.
Die Menschen können sich kaum wehren. Praxis ist auch, dass Menschen zu Leiharbeitsfirmen gehen, einen Arbeitsvertrag verlangen und ihnen gesagt wird: Hier gibts nichts Schriftliches. Wenn Sie sich beschweren, dann rufen wir bei Ihrem Sachbearbeiter an und sagen, Sie verweigern die Arbeit. Dann steht die Kürzung ins Haus.
Das Mindeste, was man verlangen kann, ist doch eine vernünftige Verbleibsstatistik. Das verlangt ja sogar die Finanzbehörde von der Sozialbehörde, und die kommt nicht rüber.
Gibt es die Statistik nicht?
Grund: Tatsache ist, dass die privaten Agenturen erst dann ihre Vermittlungsgebühr bekommen, wenn das Arbeitsverhältnis eine gewisse Zeit andauert. Etwa ein halbes Jahr. Natürlich sind wir daran interessiert, langfristige Arbeitsverhältnisse zu vermitteln. Dass das schwierig ist, hat nichts mit Sozialhilfe zu tun. Das ist überall so. Aber man muss, da bin ich mit Ihnen einer Meinung, da heran, dass man genauer prüft.
Wo die Menschen bleiben?
Grund: Ja.
Hauer: Es werden doch nur wenige Leute über private Agenturen vermittelt. Einen großen Teil vermitteln die Sachbearbeiter selbst. Die haben als einziges Hilfsmittel eine Liste von Leiharbeitsfirmen, die sie den betroffenen Menschen in die Hand drücken. Da werden Hilfsbedürftige mit dem Hinweis, sie können jederzeit Arbeit finden, wie ein Blick in die Bild zeige, wieder weggeschickt. Das hat mit Hilfe nichts zu tun.
Grund: Es ist unsachlich, wenn olle Kamellen jeden Tag neu aufgetischt werden. Ich weiß, dass es Fehlverhalten gegeben hat im Einzelfall. Das pauschal auf alle zu übertragen ist nicht korrekt.
Mir sind auch Personen bekannt, die ohne Geld wieder weggeschickt wurden. Die mussten große Energie aufwenden, um Unterstützung zu bekommen.
Grund: Das ist auch richtig so.
Dass Leute ohne Geld weggeschickt werden?
Grund: Das wird nicht passieren. Niemand wird auf die Straße geschickt ohne Geld.
Von Beratungsstellen hört man aber, dass dies häufig geschieht.
Grund: Bei über 100.000 Sozialhilfeempfängern wird es solche Beispiele immer geben. Dem muss man nachgehen. Diese Einzelfälle zu generalisieren, ist nicht legitim.
Hauer: Eine andere Möglichkeit hat man gar nicht. Wenn man mit den Beratungsstellen spricht, dann summieren sich solche Einzelfälle in einem Umfang, dass es mir schwer fällt zu glauben, es handle sich nur um Ausrutscher.
Grund: Es gibt ein grundsätzliches Missverständnis. Es gibt zwar ein Recht auf Sozialhilfe. Aber es gibt kein Wahlrecht zwischen Arbeit und Sozialhilfe. Es kann nicht sein, dass einer sagt, diese Arbeit gefällt mir nicht, ich beziehe lieber Sozialhilfe. So ist die Rechtslage nicht und darf sie auch nie werden.
Hauer: Hier unterliegen Sie aber einem Missverständnis. Es gibt ein Recht auf Sozialhilfe, das ist im Sozialhilfegesetz verankert. Im Paragraf 1 steht drin, als Aufgabe des Sozialhilfeträgers, die menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist sicherzustellen. Als erstes Ziel steht die Menschenwürde, vor allem anderen. Die Geschichte mit dem Wahlrecht ist doch eine Schimäre. Gucken wir uns an, was Menschen an Sozialhilfe überhaupt bekommen können. Zwischen 1100 und 1200 Mark monatlich, da ist die Miete mit drin. Es gibt niemanden, der sich darauf gern ausruht. Das Problem ist, dass Sozialhilfeempfänger die Rechte, die normale Arbeitnehmer haben, nicht haben. Die Frage, was zumutbare Arbeit ist, ist im Gesetz nicht festgelegt. Da gibt es Spielräume der Hamburger Verwaltung. Der Einsatz der Arbeitskraft muss aber immer im Einzelfall geprüft werden.
Einige Sachbearbeiter haben kürzlich öffentlich moniert, die Quoten könnten nicht mehr erfüllt werden, weil nur noch eine schwer vermittelbare Klientel übrig sei.
Grund: Es gibt Indizien dafür, dass da was dran ist. Die Zahl der Arbeitslosen ist ja rückläufig. Natürlich findet da eine gewisse Auslese statt. Ich glaube durchaus, dass die Loslösung schwieriger wird. Deshalb ist es gerade so wichtig zu prüfen, wie wir mit denen umgehen, die neu kommen.
Trotzdem gibt es für 2001 wieder die Vorgabe, 3000 Fälle aus dem Bestand loszulösen.
Grund: Der Arbeitsmarkt in Hamburg hat sich entspannt. Das betrachten wir als Chance.
Hauer: Der Arbeitsmarkt hat sich aber auch strukturell verändert. Es gibt Menschen, die zwei, drei, vier Jobs machen müssen und trotzdem nur knapp am Sozialhilfesatz liegen. Wir müssen fragen, in was für Arbeitsverhältnisse die Menschen kommen. Was ist denn, wenn sich die Sozialhilfe über das Instrument des Zwangs, das sie hat, als Türöffner für schlechte, ungesicherte Arbeitsverhältnisse dient?
Grund: Es stimmt, es gibt viele problematische Arbeitsverhältnisse. Dagegen gehen Gewerkschaften und Sozialdemokraten auch an. Aber wir können dieses Problem nicht über die Sozialhilfe lösen. Da müssen andere Instrumente her. Das ist Sache des Arbeitsrechts und der Tarifpolitik.
Hauer: Da nehmen Sie die Sozialhilfe etwas vorschnell aus der Verantwortung. Gerade im Niedriglohnsektor sind Tarifverträge und Arbeitswirklichkeit zwei völlig verschiedene paar Schuhe. Wie die Machtverhältnisse liegen, ist doch klar. Es gibt Firmen, die sagen, wenn sie hier auf einem Vertrag bestehen, dann melden wir Ihrem Sachbearbeiter, Sie sind an der Arbeit nicht interessiert. Der wird dann mit Streichung drohen.
Grund: Die Zahl derjenigen, denen die Sozialhilfe tatsächlich gekürzt wird, ist überschaubar. Es wird hier der Eindruck erweckt, als würden tausende Leute ständig bedroht. Das ist nicht die Realität.
Die Qualität von Leiharbeitsfirmen, das gebe ich zu, ist sehr unterschiedlich. Trotzdem nehmen in jedem Jahr tausende von Menschen dort Arbeit auf. Wenn das Menschen tun, die nicht Sozialhilfe beziehen, können wir doch nicht sagen, der Sektor wird bei der Vermittlung ausgeblendet. Ich möchte nicht, dass Sozialhilfeempfänger in unzumutbare Arbeit gedrängt werden. Aber es ist ein Abgrenzungsproblem.
Hauer: Die Sachbearbeiterinnen müssten in die Lage versetzt werden, die Arbeitsplätze, in die sie Menschen vermitteln, ein Stück weit zu überprüfen. Das ist eine harmlose Forderung.
Also eine Checkliste mit Qualitätsmerkmalen?
Hauer: Genau. Das Problem ist, dass Sachbearbeiterinnen dafür die Kapazitäten nicht frei haben. Sie haben die Zeit nicht und, das laste ich der Sozialbehörde an, sie haben auch diesen Auftrag nicht.
Grund: Ich finde, das ist reichlich weltfremd. Stellen sie sich vor, ein Unternehmen ist bereit, Beschäftigte einzustellen und dann kommt erst der Sachbearbeiter und prüft die Firma. In welcher Welt lebt Regenbogen eigentlich? Das ist an der Realität vorbei gedacht.
Moderation: Kaija Kutter
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