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Arbeitslosigkeit als DauerzustandPerspektive Hartz-IV

Knapp drei Millionen Menschen beziehen langfristig staatliche Unterstützung. Besonders viele sind es in den ostdeutschen Ländern und im Ruhrgebiet.

Deutschlands Wirtschaft floriert. Trotzdem haben viele keine Chance auf Beschäftigung. Foto: dpa

Berlin afp | Für fast drei Millionen Menschen ist der Hartz-IV-Bezug zum Dauerzustand geworden: 2,79 Millionen Hartz-IV-Empfänger seien schon vier Jahre oder länger auf die staatliche Unterstützung angewiesen, berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf die neue Verweildauer-Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Das seien rund 46 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. 64 Prozent erhalten demnach länger als zwei Jahre Hartz IV. Die Zahlen beziehen sich auf Erhebungen von Ende 2014.

Besonders betroffen sind der Zeitung zufolge die ostdeutschen Bundesländer, in denen die Quote mit Ausnahme Thüringens durchweg über 50 Prozent liege. Den höchsten Wert verzeichnet Sachsen-Anhalt mit 54,5 Prozent, gefolgt von Berlin und Brandenburg mit 53,4 Prozent.

Aber auch in westdeutschen Städten mit hoher Arbeitslosigkeit, wie etwa im Ruhrgebiet, falle die Verweildauer ähnlich lang aus wie in Ostdeutschland. In Bayern und Baden-Württemberg ist dagegen nur etwa jeder Dritte schon länger als vier Jahre von Hartz IV finanziell abhängig.

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), forderte in der „WamS“ mehr Einsatz für den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Die hohe Zahl von langfristigen Hartz-IV-Beziehern weise auf grundlegende Probleme für arbeitsmarktferne Menschen hin, sagte er. Und das in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Situation und die Lage am Arbeitsmarkt überdurchschnittlich gut seien. „Diese Menschen haben ganz offenkundig dennoch keine Chance auf Beschäftigung.“ Deshalb seien Kreativität und innovative Strategien gefragt – am besten unter Einbeziehung von Arbeitgebern, Jobcentern und Politik.

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6 Kommentare

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  • Der Niedriglohnsektor, mit all seinen "Begleiterscheinungen", "boomt". Das ist das angestrebte Ziel der Hartz-Gesetze. Die entstandene Armut ist bewußtes Kalkül. Sie ist der Hebel, um Menschen in "arbeitsmarktferne Beschäftigung" zu pressen. Die Behörde nennt das dann "Chancen". Mündige Bürger üben Tätigkeiten aus, die sie nicht ernähren, während die neoliberale Führung dieses Landes Stück für Stück am Sozialstaat sägt. Wir seien "zu verwöhnt" schallt es einig aus Berlin, Armut sei "relativ" heißt es, die Menschen hätten nur "Passungsprobleme". Schade eigentlich, daß die Interessen der Bürger durch die von ihnen gewählten Parlamentarier nicht vertreten werden!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Ein systemerhaltendes Minimum an Bewußtseinsbetäubung, als Perspektive für die Profitler dieses Systems!

  • "Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), forderte in der „WamS“ mehr Einsatz für den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Die hohe Zahl von langfristigen Hartz-IV-Beziehern weise auf grundlegende Probleme für arbeitsmarktferne Menschen hin, sagte er."

     

    Es nervt, wenn die Systempolitiker einfach über Hartz-IV das Wort ergreifen und platte Forderungen stellen, die sie selber nicht erfüllen können und wollen.

     

    Bei Hartz-IV landet das Geld nicht bei den Arbeitslosen, sondern bei den Jobcentern, bei Mitarbeitern, die mit Taschenrechnern Ansprüche und Bezüge nachrechnen und täglich neue Bescheide verschicken, wie Haftbefehle. Diese Struktur ist aber kein anarchischer Zufall, sondern klar angestrebt und stammt aus einem anti-sozialen Weltbild, welches hinter Hartz-IV steckt

     

    Die Armut ist gewollt und wird staatlich gefördert. Wenn die Politiker ehrlich wären, würden sie sich jetzt loben und auf die Schultern hauen: Genau das wollten wir.

     

    Woher sollen den Arbeitsplätze in Berlin oder Duisburg kommen? Die sind nur über eine starke Binnennachfrage realisierbar. Exporte führen zu einem fast stagnativem Wachstum. Prognosen sagen für die nächsten fünf Jahre nur 0,5 bis 1,0 BIP voraus. Dabei kommt definitiv keine Senkung der Arbeitslosigkeit zustande.

     

    Über Hartz-IV bauen Langzeitarbeitslose auch keine neuen, besseren Qualifikationen auf, sondern stagnieren, genauso wie unser Land. Und zwar, weil es Politiker so wollten.

  • An sich gibt es sowieso genug Arbeit, die gemacht werden muss - und die sich nicht wirklich erwerbsförmig organisieren lässt.

     

    Mehr "Kreativität und innovative Strategien" um Menschen in Erwerbsarbeit zu pressen, liest sich da eher gruselig.

    http://bgerheinmain.blogsport.de/was-wir-wollen/

  • Ich finde es beschämend wie in regelmäßigen Abständen dieses Thema gebetsmühlenartig aufgegriffen und der Öffentlichkeit suggeriert wird es gäbe ein Problem und selbiges liege offenbar auf Seiten der arbeitslosen Mitbürger*innen. Ich stimme dem Präsidenten des Deutschen Landkreistages dahingehend zu, dass "die hohe Zahl von langfristigen Hartz-IV-Beziehern" "auf grundlegende Probleme" hinweist, bin jedoch der Meinung dass dies an "arbeitsmarktfernen" Arbeitgebern, Jobcentern und Politik liegt. Die geforderte "Kreativität" oder "Innovative Strategien" "am besten unter Einbeziehung der Arbeitgeber, Jobcenter und Politik" wird aus meiner Sicht zu keiner Lösung der Probleme beitragen, sondern eher dazu führen dass die Empfänger*innen von Alg II weiterhin ausgebeutet werden. Sogenannte "Maßnahmen" dienen wohl eher dazu sie solange wie möglich in der Arbeitslosigkeit zu halten.

  • Herrn Sagers Aussage ist die typische Verallgemeinerung, die mensch häufig aus CDU Lagern hört.

     

    Nicht alle Menschen, die schon länger Hartz4 beziehen sind arbeitsmarktfern: Es gibt die über 35, die trotz Berufsausbildung vom Markt abgeschrieben werden, weil sie kaum Berufserfahrung haben. Es gibt die Menschen die nicht flexibel sein können, weil sie Kinder erziehen oder die Eltern pflegen, die trotz Pflegebedürftigkeit keine Pflegestufe erhalten, weil sie nicht bettlägerig sind. Es gibt die Menschen, die mit langer Berufserfahrung durch ein Alter über 50 vom Markt abgeschrieben werden. Es gibt die Menschen, die chronisch krank sind (Krebs, Rheuma, etc.) und deshalb nicht jede Arbeit ausüben könne....

     

    ... kurz gesagt, es gibt einfach nicht _den_ Hartz4 Empfänger.