Arbeitskampf bei Lieferando: „Noch krassere Ausbeutung“
Lieferando-Fahrer*innen streiken gegen die Vorhaben des Lieferdienstes. Das Unternehmen will stärker auf prekäre Tagelöhner*innen setzen.
taz | Sichere Arbeitsplätze, 15-Euro Stundenlohn, Tarifverträge und kein Stellenabbau: Das sind die Forderungen des Lieferando Workers Collective und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die am Donnerstag zu einem berlinweiten Streik der Lieferando-Fahrer*innen aufgerufen haben.
An Wind und Wetter gewöhnt, haben sich am verregneten Donnerstagnachmittag dutzende Fahrer*innen nahe der Warschauer Brücke in Friedrichshain zum Streik versammelt, um gegen die Pläne ihres Arbeitgebers zu protestieren. Dieser will bundesweit rund 2.000 Stellen abbauen, um stattdessen auf Angestellte von Subunternehmen zu setzen, die für ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen bekannt sind.
Mohan G., Streikender
„Bisher ist die Arbeit noch machbar, aber ich habe große Sorge, wie es weitergeht“, sagt der Rider Mohan G., der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er fährt seit vier Jahren für Lieferando Essen aus und ist heute hier, weil er weiterhin einen festen Stundenlohn fordert und gute Absicherung im Fall von Krankheit oder Arbeitsunfällen: „Es kann so viel passieren beim Ausliefern, man kann sich schwer verletzen und lebenslang eingeschränkt sein“, sagt G.
Tatsächlich waren die Arbeitsbedingungen bei Lieferando bisher besser als bei anderen Unternehmen in der Branche: Während Lieferdienste wie UberEats und Wolt schon länger auf die Auslagerung auf fragwürdige Subunternehmen setzen, sind bei Lieferando noch die meisten Fahrer*innen direkt angestellt und bekommen statt einer Bezahlung pro Auslieferung einen festen Stundenlohn. Der beläuft sich auf den gesetzlichen Mindestlohn von 12,82 Euro. Auch konnten sich die meisten Fahrer*innen bisher noch auf unbefristete Arbeitsverträge verlassen. Doch selbst die Einhaltung dieser Mindeststandards könnte nun auch bei Lieferando bald der Vergangenheit angehören.
Das Elend der Schattenflotten
Die geplante Stellenauslagerung, die in Städten wie Potsdam und Hamburg noch rasanter voranschreitet, hat in Berlin bisher insbesondere Kurier*innen in Spandau betroffen. Mohan G. erzählt der taz von Kolleg*innen, die dort über die miserablen Arbeitsumstände und die unsichere Bezahlung klagen.
„Für solche Schattenflotten zu arbeiten, bedeutet weniger Lohn und noch krassere Ausbeutung“, sagt der Kurier Rob S., der von der Bühne zu den versammelten Streikenden und Unterstützer*innen spricht. Er ist Mitglied des Betriebsrats, den sich die Beschäftigten in Berlin erstritten haben, und hat als Mitglied der Verhandlungskommission Erfahrung im Umgang mit den Chefetagen des Unternehmens.
Sein Befund ist wenig überraschend: Denjenigen, die in der Unternehmenszentrale sitzen und die Profite auf Kosten der Kurier*innen erhöhen wollen, fehle es grundsätzlich an „Wertschätzung für die Arbeiter*innen“. Er sagt, Lieferando wolle Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen unterbinden, „jederzeit Leute herauswerfen können und sie zum Schweigen bringen“ – mit ihnen sei das aber nicht zu machen.
Rob S. richtet seine Forderungen auch an die Politik: Es reiche nicht aus, wenn die Angestellten eines Unternehmens beim Erkämpfen von fairen Arbeitsverhältnissen allein gelassen würden. Stattdessen brauche es ein branchenweites Verbot dubioser Subunternehmen. Auch die Politik ziehe sich hier also aus der Verantwortung, menschenwürdige Bedingungen zu schaffen.
Mehr Widerstand gefordert
Alexandra B. will ebenfalls nicht schweigen. Sie gehört zu denen, die letztes Jahr in Spandau gefeuert wurden, um Platz für günstigere Tagelöhner*innen zu machen. Zu den Streikenden sagt sie, in Berlin gebe es Tausende Kurier*innen, doch davon seien nur wenige da. Ihr Plädoyer: Es brauche mehr gewerkschaftliche Organisierung, mehr Streikende, häufigere Streiks.
Um eben dafür zu mobilisieren, ist heute auch ein Fahrer von UberEats gekommen. Er warnt die Branchen-Kolleg*innen vor den unwürdigen Umständen, denen er als Fahrer für dubiose Drittunternehmen ausgesetzt sei und ruft gleichermaßen dazu auf, sich dieser prekären Entwicklung entschlossen zu widersetzen.
Ferat Koçak, Die Linke
Bevor die Streikenden sich aufmachen, um ihren Protest vor die Unternehmenszentrale zu tragen, kommen noch die Linken-Politiker*innen Ferat Koçak und Damiano Valgolio zu Wort. „Ihr seid es, die ihr die Stadt am Laufen haltet“, versichert der Neuköllner Bundestagsabgeordnete Koçak den Kurier*innen. Statt ihnen dafür Respekt und Anerkennung entgegenzubringen, sei ihren Chefs nur an ihrer Ausbeutung gelegen: „Wenn der Chef euch bei der Lohnabrechnung betrügt, dann ist das kein Versehen“, ist Koçak überzeugt.
Der für die Linken im Abgeordnetenhaus sitzende Valgolio schließlich sichert allen, die in Arbeitskämpfen involviert sind, die Solidarität der Linkspartei zu. Er bietet den Fahrer*innen mit Blick auf den kommenden Winter Räume der Linken an, in denen sie Pause machen, sich aufwärmen und Kaffee trinken könnten, „Räume, die euch eigentlich Lieferando bereitstellen müsste“, so Valgolio.
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