Arbeitsintegration von Geflüchteten: Runter mit den Erwartungen!
Wer die Arbeitsintegration von Flüchtlingen beurteilen will, muss ihre subjektive Anpassungsleistung sehen – und die ist oft enorm.
Die hohe Abbruchquote bezog sich auf den Jahrgang 2012, so korrigiert ein Sprecher der Handwerkskammer für München und Oberbayern auf Nachfrage. Von den Auszubildenden aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Eritrea und anderen Kriegs- und Krisenstaaten, die im September 2013 eine Ausbildung im Handwerk in Oberbayern anfingen, brachen nur 40 Prozent ihre Lehre ab.
Von denjenigen, die erst im Jahr 2014 eine Lehre starteten, beendeten bislang sogar nur 30 Prozent die Ausbildung vorzeitig. Nun können sich bei den späteren Jahrgängen die Abbruchquoten noch erhöhen, aber eine Lehre wird, wenn, dann eher im ersten Jahr geschmissen. Einen so hohen Abbruchwert wie bei den ersten Lehrlingen vom Jahrgang 2012 werden die späteren Azubis nicht mehr erreichen. Der Trend ist positiv.
Die Diskussion um die Ausbildungsverläufe zeigt: Diese Zahlen sind immer politische Zahlen, heikle Zahlen, die eine Antwort liefern sollen auf die Frage: Füllen Flüchtlinge mittelfristig die Fachkräftelücke oder bekommen wir nur Tausende von Hartz-IV-Empfängern, die in ghettoähnlichen Wohnanlagen alimentiert werden? Die Antwort lautet: Es wird beides geben. Die Flüchtlinge sind keine homogene, sondern eine sehr heterogene Gruppe mit höchst unterschiedlichen Voraussetzungen, persönlichen Möglichkeiten, Lebensumständen.
Biografien, Begabungen, Kontexte
Das sieht man heute schon: Einen langen Arbeitstag hat der Eritreer aus einer Gemeinschaftsunterkunft, der schon am frühen Morgen als Praktikant bei einem Bauunternehmer arbeitet und am Nachmittag vier Stunden in der Sprachschule Deutsch paukt. Seine Hoffnung ist ein Ausbildungsplatz im Bauhandwerk, wenn sein Deutsch gut genug ist.
Dann gibt es den syrischen Flüchtling, Jurist, der aber seine Kenntnisse aus Syrien in Deutschland nicht verwerten kann. Auch er lernt Deutsch und hofft auf eine Tätigkeit als Übersetzer in einer Behörde. Der Journalist aus Afghanistan mit Collegeabschluss lernt jetzt Koch, in seinem alten Beruf kann er mit den unzureichenden Deutschkenntnissen hier nicht arbeiten. Wo werden diese Leute in einigen Jahren tätig sein? Auf dem Bau, als Übersetzer in einer internationalen Organisation, in einem exklusiven Hotelrestaurant?
Die Beispiele zeigen, dass die vielen Tausenden Flüchtlingen, die aus humanitären Gründen ins Land kommen, natürlich nicht die flächendeckende Lösung sein können für die hiesige Fachkräftelücke in der Industrie und im Gesundheitsbereich. Es kommen Menschen mit Biografien, mit Begabungen, mit Kontexten.
Nach rückblickenden Erhebungen des Nürnberger Instituts für Arbeit (IAB) ist fünf Jahre nach Zuzug erst die Hälfte der Migranten aus Kriegs- und Krisenländern in Deutschland erwerbstätig. Erst nach zehn Jahren gleicht sich deren Erwerbsquote jener der Deutschen an, die bei etwa drei Viertel liegt. Überproportional sind diese Exflüchtlinge in der Hotel- und Gaststättenbranche, im Handel und in sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen tätig, weniger dagegen im verarbeitenden Gewerbe, auf dem Bau oder in der Gesundheitsbranche.
In Schweden mit seiner sehr technisierten Wirtschaft sehen die Beschäftigungsquoten von Migranten aus Afrika und Asien ähnlich aus, obwohl diese gleich zu Beginn mehr gefördert wurden. Die Arbeitslosigkeit unter den Flüchtlingen wird wahrscheinlich in Deutschland im Durchschnitt über viele Jahre hinweg höher bleiben als unter Einheimischen.
Die hohen Erwartungen auf beiden Seiten, die Erwartungen auf Seiten der Flüchtlinge von leicht zugänglichen Jobs und Wohlstand einerseits und auf Seiten der Wirtschaft von lernwilligen, passgenauen Fachkräften andererseits, diese Erwartungen werden sinken müssen. Alle müssen Kompromisse machen.
Viele Tausende Asylbewerber aber können es schaffen, eine Berufsausbildung oder gar ein Studium abzuschließen und Arbeit zu finden, auch das sagt die Statistik. Um eine politische Bewertung abzugeben, muss man neben der allgemeinen daher immer auch die individuelle Betrachtung mit einschließen: Wer es als Flüchtling schafft, vollbringt eine einzigartige persönliche Anpassung- und Aufstiegsleistung, die man als Einheimische kaum ermessen kann.
Hürden, Stress, Widerstände
Die Neuankömmlinge haben oftmals in der Heimat Gewalt erlebt, sind hier ohne Angehörige und wohnen meist in einer Gemeinschaftsunterkunft ohne ruhige Lernatmosphäre, obwohl sie eine völlig neue Sprache und Schrift pauken müssen. Sie stehen unter Dauerstress wegen der Wartezeiten in einer unberechenbar wirkenden Bürokratie und leben in ständiger Armut. Ein bis zwei Jahre braucht ein junger Neuankömmling aus dem arabischen Raum, um die deutsche Sprache und Schrift so weit zu lernen, dass er oder sie eine Ausbildung anfangen kann. Auf die erste Zeit des Sprachunterrichts folgen drei Jahre Lehre oder Studium. Das macht vier bis fünf Jahre Ausbildung, ohne nennenswert Geld verdient zu haben.
Von der Bundesagentur für Arbeit ist zu hören, viele Flüchtlinge lehnten aus finanziellen Gründen eine Ausbildung ab und arbeiteten lieber in einem Hilfsjob, weil man mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde beim Burgerbraten mehr verdient als mit der Ausbildungsvergütung in einer Mechatronikerlehre. Nicht selten drängen auch die Verwandten in einem afrikanischen Heimatstaat, das nach zwei Jahren endlich mehr Geld geschickt werden muss, zumal oft Schulden gemacht wurden, um die Schleusung zu bezahlen.
Fünf Jahre lernen für kaum Geld, für wenig Anerkennung und jede Menge Diskriminierung: Das durchzuhalten, würde auch Deutschen schwerfallen. Im Ausland, auf sich allein gestellt, ausgeliefert einer fremden Sprache und Schrift. Aber wir müssen ja nicht migrieren. Die Welt kommt stattdessen zu uns. Es ist ein Privileg, das wir noch zu wenig schätzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend