Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie: „Änderungen bedeuten Überstunden“
Saskia Krämer arbeitet für die „Fair Wear Foundation“. Sie will Unternehmen für die Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesh sensibilisieren.
taz: Worum wird es bei Ihrem Vortrag im Rahmen der Ethical Fashion Show Anfang Juli in Berlin gehen?
Saskia Krämer: Unser „WellMade“-Workshop richtet sich hauptsächlich an MitarbeiterInnen von Bekleidungsunternehmen, und möchte sie für ihren Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten sensibilisieren. Dafür haben wir ein Tool entwickelt, um den MitarbeiternInnen europäischer Unternehmen zu zeigen, wie sich ihre täglichen Entscheidungen, zum Beispiel im Bezug auf kurzfristige Änderungen der Bestellungen, direkt auf die Arbeitszeiten vor Ort in den Produktionsstätten auswirken. In dem Fall bedeuten kurzfristige Änderungen übermäßige Überstunden für die ArbeiterInnen.
Haben die Fabrikeinstürze in Bangladesch zu einem Umdenken der westlichen Kleidungshersteller geführt?
Zumindest hat es für eine Weile die Branche aufgerüttelt, unterschiedliche Akteure an einen Tisch gebracht und zur Unterzeichnung des Brand- und Gebäudeschutzabkommens geführt. Jedoch sind solche tragischen Unglücke in der Vergangenheit schon öfters vorgekommen und sicherlich in Zukunft auch nicht auszuschließen. Wir denken, die Unterzeichnung des Brand- und Gebäudeschutzabkommens ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und hoffen, dass weitere Maßnahmen folgen werden, um die Sicherheit der ArbeiterInnen zu gewährleisten und weitere Arbeitsstandards, wie zum Beispiel existenzsichernde Löhne, zu implementieren.
Inwiefern kann man die Einhaltung von neuen Brandschutzmaßnahmen als Nichtansässiger überhaupt nachprüfen?
Ich kann nur von der Fair Wear Foundation sprechen, wie wir die Implementierung von Arbeitsstandards nachprüfen: Die Unternehmen verpflichten sich generell bei einer FWF-Mitgliedschaft freiwillig die Arbeitsbedingungen vor Ort in ihren Produktionsstätten zu verbessern, darunter fällt auch Arbeitsschutz und Gesundheit. Die FWF hat Kontrollteams in mehreren Produktionsländern und auch telefonische Anlaufstellen für Beschwerden in diesen Ländern, bei denen ArbeiterInnen anonym vor Ort Verstöße gegen die Arbeitsgesetze melden können.
Die 34-Jährige ist seit Mai 2013 Verbindungsbeauftragte für die Fair Wear Foundation (FWF) in Deutschland. Die 1999 gegründete Organisation ist eine Initiative, die die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie zum Ziel hat.
Wie viele Konzerne haben das neue Abkommen bisher unterschrieben?
Von unseren zwölf in Bangladesch produzierenden Mitgliedsunternehmen haben zwei unterzeichnet – Switcher und HessNatur.
Was können die nationalen Gewerkschaften wie Ver.di tun, um Kampagnen zu den Beschäftigungsrechten nicht nur verbal zu unterstützen?
Die FWF ist eine Multistakeholderinitivative. Das heißt, dass wir mit lokalen und internationalen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden sowie Nichtregierungsorganisationen wie der Kampagne für Saubere Kleidung eng zusammenarbeiten. Die Idee ist, von der Expertise des anderen zu lernen und praxisnahe, realistische Lösungen zu finden.
Die Gewerkschaften spielen, wie die anderen Interessengruppen auch, eine wichtige Rolle. So erfahren wir von den Bedürfnissen der ArbeiterInnen und Prozessen der ArbeitnehmerInnenvertretung. Hier können uns nicht nur lokale Gewerkschaften in den Produktionsländern wertvolle Hinweise geben, sondern natürlich auch die Gewerkschaften hierzulande mit ihrem Erfahrungsschatz aus mehreren Dekaden Gewerkschaftsarbeit.
Zum vierten Mal findet in Berlin zeitgleich mit der „Fashion Week“ und der „Bread & Butter“ die grüne Modemesse „Ethical Fashion Show“ statt. Vom 2. bis 4. Juli stellen 74 internationale Modelabels aus, die auf die Nachhaltigkeit ihrer Produkte, Transparenz in der Lieferkette und soziale Standards bei der Herstellung achten.
Im Rahmenprogramm der Messe, die von Renate Künast, eröffnet wird, geht es auch um die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie, die seit den Fabrikeinstürzen in Bangladesch und Pakistan verstärkt im Licht der Öffentlichkeit stehen.
Bangladesch ist nicht der einzige Ort, an dem Stoffe hergestellt werden – wie ist es mit anderen Standorten der Branche?
Die FWF hat ihren Fokus auf dem Bereich Nähen und Konfektionieren und nicht auf der Stoffherstellung selber. Aber außer in Bangladesch sind wir noch in drei weiteren Produktionsländern aktiv – China, Indien, Türkei, wo auch immer mal wieder Probleme auftauchen. Aber zusammen mit unseren Mitgliedsunternehmen, die in diesen Ländern produzieren lassen, arbeiten wir daran, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Ist ein großes Handelsland wie die USA, in dem es auch früher Katastrophen in der Textilbranche gegeben hat, in diesem Bereich heute vorbildlich?
Das kann ich an der Stelle nicht einschätzen. Unsere Mitgliedsunternehmen sind aus dem europäischen Raum und produzieren größtenteils im Fernen Osten beziehungsweise Osteuropa.
Wäre es eigentlich komplett undenkbar und auch unökonomisch, im eigenen Land zu produzieren statt die Produktion ins Ausland zu verlegen?
Das wäre schon allein wegen der Rohstoff- und Fasergewinnung schwierig. Darüber hinaus sehen sich europäische Bekleidungshersteller einer großen Konkurrenz und einem hohen Preisdruck ausgesetzt, und daher wäre es eine riesige Herausforderung, die Produktion hierher zu verlegen.
Die Zustände in den Fabriken und die schlechten Löhne sind doch bestimmt nicht das einzige Problem in der Textilbranche – wie ist es mit Färben, Rohstoffgewinnung und so weiter?
Natürlich machen die Probleme in Bangladesch oder jedem anderen Produktionsland nicht an den Türen der Produktionsfabriken halt. Aber unser Fokus liegt auf dem Bereich Nähen im Produktionsprozess, da hier die meisten Menschen beschäftigt sind und wir – als eine Menschenrechtsorganisation – die Arbeitsbedingungen möglichst vieler Menschen verbessern möchten. Wir sehen hier, durch unsere Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsunternehmen und Stakeholdern, die größten Einflussmöglichkeiten und Potenziale.
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