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Was auf See passiert, bleibt oft unausgesprochen: Containerfrachter in der Nordsee Foto: dpa | Jonas Walzberg

Arbeitsbedingungen auf Containerschiffen„Ozeane gleichen dem Wilden Westen“

Auf vielen Schiffen herrschen miserable Arbeitsbedingungen. Hafen-Kontrollen der Gewerkschaften sollen das ändern. Die taz ist mit an Bord gegangen.

M arkus Wichmann steht in knallorangener Signalweste und Helm vor dem Eingang zum Hamburger Hafenterminal und wartet auf Einlass. Hinter ihm ragt die viel befahrene Köhlbrandbrücke empor. Wichmann ist Inspekteur im Auftrag der International Transport Workers’ Federation (ITF), einer globalen Gewerkschaftsföderation. Ihr sind 700 Gewerkschaften auf der ganzen Welt angeschlossen. Sie setzt sie sich für die Rechte der Seeleute ein, kontrolliert stichprobenartig Frachter, Tanker oder Containerschiffe. „Ohne Kontrollen gleichen die Ozeane dem wilden Westen“, sagt Wichmann.

Sein Ziel: Ein Massengutfrachter, der soeben in Hamburg eingelaufen ist. Wichmann hat einen anonymen Tipp bekommen, von knappen Essensvorräten auf dem Schiff war da die Rede. Ein Philippiner in löchriger Arbeitsjacke kommt, grüßt freundlich und führt uns über das vom Regen matschig gewordene Hafengelände. Wichmann fragt, wie das Essen an Bord schmeckt. Die Antwort: „Es gibt nur noch Reis, aber genug, damit wir überleben.“

Seeleute beschweren sich meist anonym; wenn überhaupt. Zu groß ist die Angst, dass der eigene Name auf der inoffiziellen „schwarzen Liste“ landet. Wer draufsteht, riskiert, nicht mehr angeheuert zu werden. Dabei sind diese Seeleute oft die Alleinversorger ihrer Familien. „Auf Schiffen, die beispielsweise unter chinesischer Flagge fahren, haben die Seeleute weniger Rechte“, sagt Wichmann. „Hier steht keine starke Gewerkschaft hinter den Menschen und es gibt auch keine Verträge mit der ITF.“ Und die darf nur Schiffe kontrollieren, mit deren Reedern sie zuvor Verträge abgeschlossen hat.

Der größte Teil der Seeleute auf den Ozeanen der Welt stammt von den Philippinen. Unter der Besatzung des Massengutfrachters, auf den es heute geht, sind außerdem noch ein paar Ukrainer. Deutsche finden sich meist erst in den Offiziersrängen auf der Brücke – alles andere ist den Reedereien zu teuer.

Auf dem Schiff, das hier nicht beim Namen genannt werden darf, geht es über rutschige Stufen und schwankende, verrostete Zugänge hinauf an Deck. Markus Wichmann kommen weitere Besatzungsmitglieder entgegen. Alle bestätigen: Ja, die Vorräte sind knapp. Außerdem sei das Internet schlecht. Ein Philippiner im weißen Overall beginnt zu flüstern; deutet nach oben. Er meint den Kapitän. Soll heißen: Das hast du nicht von mir gehört! Auch der Bordkoch, der gleich Kaffee bringen wird, bestätigt, dass die Mahlzeiten hauptsächlich aus Reis bestehen.

Falls bei einer Kontrolle wie dieser ein Problem nicht sofort geklärt werden kann, ruft die ITF bei der Hamburger Staatshafenkontrolle an. Die kann anordnen, dass das Schiff den Hafen nicht verlassen darf, bis die ITF grünes Licht gibt. „In Deutschland funktioniert diese Zusammenarbeit gut“, sagt Wichmann, „in einigen anderen Teilen der Welt schauen die Hafenkontrollen aber gern mal weg“.

Die Staatshafenkontrolle in Hamburg überprüft in normalen Jahren zwischen 1.000 und 1.300 Schiffe. 2021 fanden jedoch nur 800 Kontrollen statt, genau wie 2019 und 2020 liegt das an der Pandemie. 2021 stießen die Inspekteure bei etwa der Hälfte der Schiffe auf Probleme. Zu deren Lösung wurden 35 Schiffe sogar im Hamburger Hafen festgehalten.

Frisches Proviant? Zu teuer, sagt der Kapitän. Er müsste sich bei der Reederei rechtfertigen

Enge Gänge und steile Treppen führen durch das Schiff, schmale Fenster erlauben einen Blick auf den Hafen. Der Kapitän begrüßt Wichmann, er trägt keine Uniform.

Wichmann, der sich zuvor 13 Jahre lang als Geschäftsführer der Hamburger Seemannsmission für die Interessen der Seeleute einsetzte, legt nun seinen Helm ab. Von dem Kapitän fordert er Arbeitsverträge und Gehaltstabellen. Er fragt, warum die Vorräte bisher nicht aufgestockt wurden. „Zu teuer“, antwortet der Kapitän. Er hätte den Preis vor der Reederei verantworten müssen. Und die stellt ein Lebensmittel-Budget von acht Dollar pro Person. Die neuen Vorräte aus Hamburg seien aber auf dem Weg.

Dann kommt die Sprache auf das vermeintlich schlechte Internet. Die Stimmung im Raum wird angespannter. „Die Verbindung ist instabil“, sagt der Kapitän dann. Dem ukrainischen Teil der Besatzung stelle er trotzdem dauerhaft Internet zur Verfügung.

„Und die Philippiner?“, fragt Wichmann. „Das Internet ist zu schlecht“, antwortet der Kapitän, „sie können es nur am Wochenende nutzen“. Wichmann bleibt hartnäckig: „Kann es jetzt eingeschaltet werden? Die Philippiner brauchen es genauso.“ So geht es hin und her. Schließlich möchte Wichmann den Internetzugang mit eigenen Augen sehen. Eine Etage höher hängt der Router, mit Klebeband an der Wand befestigt. Er ist ausgeschaltet.

Der 48-Jährige fragt einen Seemann. Der antwortet: „Der Kapitän setzt das Internet ein, um die Menschen zu kontrollieren. Wenn wir gut sind, bekommen wir Internet. Wenn nicht, dann eben nicht.“ Das Problem ist also nicht die instabile Internetverbindung. Sondern der Kapitän.

Wichmann verlangt vom Kapitän, dass er das Internet sofort freischaltet, in seinem Beisein. Der gibt schließlich nach. Die Lösung: Ein Kabel holen und es in die Steckdose stecken. Damit ist die Inspektion beendet und Wichmann verteilt seine Kontaktdaten an die Seeleute. Als er wenig später aus dem Schiffsinneren tritt, stapeln sich vor der Tür schon die Kisten voller Essen. Bananen sind drin, Mehl, dazu Ketchup und Nutella. „Falls der Kapitän beschließt, das Internet wieder abzustellen, meldet ihr euch bei mir“, sagt Wichmann zu den Seeleuten, als er geht.

Susana Pereira-Ventura kann viel über miserable Arbeitsbedingungen auf den Schiffen erzählen. Bei der Gewerkschaft Ver.di ist sie für die Seeleute zuständig: „Eine Kontrolle in Hamburg konnte an Bord des Containerschiffs Latha kaum Versorgung mit Lebensmitteln finden. Dazu kommt, dass Gehälter in Höhe von fast 52.000 Euro nicht an die Besatzung ausgezahlt worden waren.“ Bei einem anderen Fall, in Lübeck, sei die Hygiene von den Mannschaftskabinen bis hin zu den Essenslagern „miserabel“ gewesen: „Das Essen war von Milben und anderen Insekten befallen“, sagt Ventura.

Spricht Seeleute mit Namen an: Seemannsdiakon Fiete Sturm in der Altonaer Seemannsmission Foto: Seemannsmission

Zwar sind die Rechte der Seeleute im Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation festgelegt. Sie lassen sich aber schwer durchsetzen, erklärt Ventura, weil sie eher „Empfehlungen“ seien. Denn die Reedereien saßen mit am Tisch, als das Abkommen verabschiedet wurde. „Doch je konkreter die Regularien formuliert sind, desto geringer ist die Zahl der Länder, die das Abkommen ratifizieren,“ sagt Wichmann. Die USA etwa haben das Seearbeitsübereinkommen bis heute nicht ratifiziert.

Dabei verdient die Branche gut: Die in Hamburg ansässige Reederei Hapag Lloyd beispielsweise hat im vergangenen Jahr den Umsatz fast verdoppelt, auf über 22 Milliarden Euro. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern stieg auf 9,4 Milliarden Euro. „Wir blicken auf ein außergewöhnlich erfolgreiches Jahr zurück“, sagte der Vorstandsvorsitzende Rolf Habben Jansen bei der Vorstellung der Bilanz.

Wichmann schätzt die Bedingungen auf den Schiffen von Hapag Lloyd als gut ein, im Vergleich zu anderen Reedereien. Hapag Lloyd zahle höhere Löhne und gehe gut mit Beschwerden um.

„Viele Schifffahrtsunternehmen verdienen Rekordgewinne auf den Rücken der Seeleute“, sagt Pereira-Ventura. Auch, weil sie weniger als ein Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen. „Und internationale Abkommen und Richtlinien können umgangen werden, weil es an Kontrollen durch die Hafenstädte und -staaten fehlt.“ Auch Hamburg könnte mehr Druck auf die Reeder ausüben, sagt die Gewerkschafterin. Doch hinter den Schifffahrtsunternehmen steht eine starke Lobby.

Etwa drei Kilometer vom Hamburger Hafen entfernt, in der Nähe des Altonaer Fischmarktes, liegt die Seemannsmission. Das ziegelrote Haus ist Club, Hotel und Kirche in einem, und Fiete Sturm ist hier der Diakon. Wenn ihr Schiff im Hamburger Hafen anlegt, kommen die Seeleute aus der ganzen Welt hierher, um mal „in einem richtigen Bett zu schlafen“, sagt Sturm. Oft bleiben sie nur für ein bis zwei Nächte, bevor es zurück in die Schiffskajüte geht.

So ein Landgang ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Er kann einem also verwehrt werden. „Die Seeleute fühlen sich wie Rädchen im Getriebe, austauschbar“, sagt Sturm. Genau da möchte die Seemannsmission helfen. „Ich frage die Menschen, wie es ihnen und ihren Familien geht“, sagt Sturm: „Mir wurden schon viele Bilder von Söhnen und Töchtern gezeigt.“

Im Keller des Hauses steht ein Billardtisch, eine Sofaecke lädt zum Sitzen ein, es gibt Karaoke-Abende. An der Bar gibt es keinen harten Alkohol zu kaufen, dafür ist von Fritz-Kola über Damenstrumpfhosen bis hin zu Souvenirs alles zu finden. Verkaufsschlager ist das Hamburger Nummernschild.

Wichtige Internetverbindung: Ein ukrainischer Seemann zeigt ein Video vom Krieg in seiner Heimat Foto: dpa | Marcus Brandt

Sturm spricht die Menschen mit ihren Namen an. Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Auf den Schiffen werden sie bei ihrem Arbeitstitel gerufen. AB steht dann für able body, also fähiger Körper und OS für ordinary seaman, gewöhnlicher Seemann.

„Die Menschen fühlen sich wie ein externer Teil der Gesellschaft“, sagt Sturm. „Sie sind sehr lange an Bord und kommen nur für ein paar Monate nach Hause, dort schauen sie ihren Familien mehr beim Leben zu, als Teil dessen zu sein.“ Zu ihm sagen die Männer Sätze wie: „Ich opfere mich für meine Familie.“ Darum sind sie oft zu verängstigt, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. „Sie sind unverzichtbar, werden aber nicht so behandelt“, sagt Fiete Sturm.

Und die Seeleute von dem Massengutfrachter, der Hamburg längst wieder verlassen hat? Haben bisher nicht wieder bei Markus Wichmann angerufen.

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