: Arbeiter, hört die Signale!
■ Der Beschäftigungsgipfel: DGB als Meinungsführer
Seit eineinhalb Jahren bewegen sich allein die Gewerkschaften im Ringen um den Erhalt der deutschen Arbeitsgesellschaft voran. Die Unternehmerverbände bewegen hingegen allein die Gebetsmühlen ihrer ewig gleichen Forderungen – und halten sich dabei noch für enorm fortschrittlich. Arbeitgeberpräsident Hundt am Mittwoch: „Am meisten geleistet worden ist in den Unternehmen, bedauerlicherweise aber um den Preis einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit.“ Angesichts dieser Erstarrung wird daher auch Zwickels Angebot nicht viel einbringen, das die Gewerkschaften einiges kostet: Bisher hat noch kein Gewerkschafter so deutlich ausgesprochen, daß über den Tausch von Einkommensteilen der Arbeitsbesitzer gegen neue Arbeitsplätze geredet werden könne. Viele Gewerkschafter werden das gar nicht gerne hören.
So gehen die DGB-Führer ihren Organisationen um ein nicht unriskantes Stück voraus, während die Arbeitgeberfunktionäre hinter der Praxis der Unternehmen zurückbleiben und mit ihrer hilflosen Standortsuada sich ein angelsächsisches Modell der Arbeitsbeziehungen herbeiwünschen. Sie werden es nicht bekommen, auch wenn sie zunehmende Arbeiterrevolten kalt in Kauf nehmen. Dazu fehlt es der Regierung auch an der sozialkriminellen Energie einer Margaret Thatcher.
Der DGB hat mit diesem Gipfel vor allem ein neues Signal gegeben: Er will seinen Leuten künftig reinen Wein über die Grenzen des Möglichen einschenken und ist bereit, Besitzstände, die im Meer der Arbeitslosigkeit zu Privilegien geworden sind, zurückzunehmen. Das wird übrigens von den Medien mehr und mehr honoriert.
Etwas mehr Zeit hätten Zwickel und Schulte Europa geben dürfen. Immerhin ereignete sich soeben im Renault- Konzern der erste Euro-Streik, europäisieren sich überhaupt die Arbeitskonflikte in der Marktgemeinschaft. Bemerkenswert allerdings, daß Zwickel für den termingemäßen Euro plädierte. Ein Warnschuß für Opportunisten wie Niedersachsen-Schröder und Bayern- Stoiber, die aus der Euro-Skepsis billiges Kapital schlagen. Und auch dies ist ein Wort, das vielen Gewerkschaftern schwer heruntergehen wird. Immerhin waren es die Arbeitnehmer, die durch die Deflationspolitik für den Euro am meisten zu bluten hatten. Der DGB als Meinungsführer – wer hätte das noch vor zwei Jahren gedacht? Claus Koch
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