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Arbeiter auf WM-Baustellen in Katar„Leider muss ich auch schlafen“

Wie hart ist der Alltag der Arbeitsmigranten? Wie leben sie? Eine Reportage aus Katar, dem Austragungsort der Fußball-WM 2022.

Harter Job: Bauarbeiter in Doha Foto: dpa

Doha taz | Auf den Rasenplätzen, auf denen gewöhnlich die Profis des FC Barcelona und des FC Bayern ihr Wintertraining absolvieren, machen sich die potenziellen Weltstars von morgen zu schaffen. Die Jugendmannschaften von Real Madrid, Inter Mailand oder Paris St. Germain tragen mit Teams aus Asien sowie den in der Aspire Academy geförderten Talenten das Nachwuchsturnier Al Kass aus. Während die Nachwuchskicker sich warm machen, schlurft eine Gruppe Arbeiter am Rand der Tribünen entlang.

Sie sind nicht als Zuschauer gekommen. Sie gehören auch nicht zu den Bauleuten, die gleich nebenan am zukünftigen WM-Stadion Al Khalifa werkeln. „Wir sind nur eine Reparaturtruppe hier. Heute sind wir in der Aspire Zone, nächste Woche aber schon wieder auf dem Flughafen“, erzählt Wilson der taz. Wilson ist Rohrleger und kommt aus Kenia. Er ist erst ein paar Monate im Land und ganz glücklich, dass er den Job ergattert hat.

„Hey, hier wird in ein paar Jahren die WM stattfinden“, strahlt er. Mit dem Geld, das er hier verdient, ist er zufrieden. „600 Rial – damit bist du in Kenia König“, meint er lachend. Zwar kriegt er 200 Rial vom Arbeitgeber abgezogen wegen des zur Verfügung gestellten Essens. Aber er kann immer noch 300 Rial heimschicken. Obwohl das keine 80 Euro sind, liegt selbst dieser Betrag noch über manchem der staatlich festgelegten Mindestlöhne in Kenia.

Wenn Wilson länger im Gastland Katar ist und sich mit anderen Gastarbeitern ausgetauscht hat, wird das Lachen wohl aus seinem Gesicht verschwinden. 600 Rial, etwa 150 Euro, ist der bislang geringste Monatslohn, auf den die taz bei Recherchen im Bausektor und im erweiterten Sportstättenumfeld stieß. Er beträgt weniger als die Hälfte des Mindestlohns, das etwa das Entsendungsland Nepal für ungelernte Arbeiter für Jobs in den Golfstaaten durchgesetzt hat.

Verdienst komplett nach Hause geschickt

Bikash Aley Magar, ein 31-jähriger Taxifahrer aus Nepal, verdient etwa 2.000 Rial im Monat. Er muss dafür aber 13 bis 14 Stunden pro Tag arbeiten – und bedauert, dass er nicht noch mehr arbeiten kann. „Leider muss ich auch schlafen.“ Bikash muss der katarischen Taxifirma 300 Rial pro 24 Stunden für das Arbeitsgerät bezahlen. „Wenn das Taxi still steht, verdiene ich nichts.“

Bikash ist auf das Geld angewiesen. „Bei uns zu Hause gab es das Erdbeben. Alles ist zerstört. Unsere Familien brauchen das Geld“, sagt er. Und so schickt er die kompletten 2.000 Rial nach Hause. Für sich behält er nur die 300 Rial Essensgeld pro Monat, die seine Firma ihm gibt.

Davon kann Wilson, der Rohrleger aus Kenia, nur träumen. Ihm wird das Essensgeld auch noch abgezogen. Arbeiter aus Afrika liegen in Katar ganz am unteren Ende der Entlohnungsskala. Den Betrag für das Essen einzubehalten trauen sich nur noch wenige Arbeitgeber im Wüstenstaat. Dass ausgerechnet ein Servicebetrieb in der Aspire Zone dazu gehört, ist peinlich für die schöne Welt des Fußballs.

Digitalisierung verursacht Wartezeiten

Immerhin musste Wilson nicht noch Vermittlungsgebühren für den Job zahlen. Da traf es ihn besser als manchen, der für den Stadionerbauer Midmac tätig ist. Gulliver, ein Baggerfahrer aus den Philippinen, erzählt, dass er 34.000 Pesos zahlen musste, umgerechnet etwa 2.500 Rial (600 Euro). Eigentlich hätte er den Kredit dafür gern im Februar abgezahlt – der Januarlohn ließ aber auf sich warten.

Dafür gibt es eine Erklärung. „Die haben die Lohnzahlung von Cash auf Digital umgestellt. Das führte zu der Verzögerung“, sagt Gulliver. Er bleibt gelassen, denn in den bisherigen sieben Monaten, die er unter anderem auf der Stadionbaustelle in Al Khor verbrachte, kam das Geld immer komplett und bis auf den Januarlohn auch pünktlich.

Die Umstellung auf digitale Zahlung ist einer Reform im Arbeitsgesetz Katars geschuldet. Mit der Banküberweisung kann das Arbeitsministerium die Zahlungsflüsse kontrollieren. Bislang haperte es da häufig. 6.054 Beschwerden von Arbeitern zählte das Arbeitsministerium im letzten Jahr. Bei den Klagen handelte es sich meist um mangelnde Übernahmen der Heimreisetickets und verweigerte Freigaben sowie Rückstände bei den Lohnzahlungen. Jetzt produziert die Digitalisierung aber Wartezeiten. Und sie schafft weiteren Ärger.

Kaum Geldautomaten

„Die Arbeiter können jetzt gar nicht mehr überprüfen, ob ihre Lohnberechnungen stimmen und etwa die Überstunden korrekt berücksichtigt wurden. Sie erhalten keine detaillierte Abrechnung mehr wie früher“, erzählt Frank, ein Abgesandter der internationalen Bauarbeitergewerkschaft BWI. Frank hat auch beobachtet, dass die Arbeiter weite Wege gehen müssen, um an ihren Lohn zu kommen. Denn Geldautomaten gibt es im Industriegebiet in Doha nur wenige. Mehrere 100.000 Arbeiter wohnen aber in diesem riesigen Areal.

Betonpisten mit Schlaglöchern, in denen manchmal ein Pkw versinken könnte, durchziehen das Gebiet. Ein unendlicher Strom von Baufahrzeugen und Werksbussen der großen Unternehmen wälzt sich darüber. Zivilisatorische Errungenschaften wie Bürgersteige, Ampelanlagen, Straßencafés – Fehlanzeige. Wenn es regnet, verwandelt sich die Staubschicht auf dem Beton in eine große Matschlandschaft.

In Labour City soll das anders werden. Befestigte Wege, zum Teil mit Baumreihen versehen, verbinden die kubischen Wohnblöcke mit den nahen Läden, den Gaststätten, dem Kino und dem Cricket-Stadion für 17.000 Zuschauer.“ 100.000 Arbeiter sollen hier einmal wohnen. Momentan sind es ungefähr 30.000“, sagt Abdul Melik al-Masri, stellvertretender Leiter der Wohnanlage.

Privatsphäre – wovon sprichst du?“

Stolz führt er durch die Freizeiträume mit Kicker, Tischtennisplatte und Fitnessgeräten. Gulliver und seine Kollegen haben noch keinen Umzugsschein in dieses Arbeitermetropolis vom Stadionerbauer Midmac erhalten. Gulliver haust weiter im Industrial Area. Zu siebt sind sie im Zimmer, vier Doppelstockbetten im kleinen Raum. „Privatsphäre – wovon sprichst du?“, sagt er.

Schaut man in den gerade im Februar herausgekommenen Arbeitssicherheitsbericht des Organisationskomitees der WM, dann dürfte es Gulliver in seiner Unterkunft gar nicht geben. Denn in der bunten Broschüre hat Arbeitgeber Midmac die Ampelfarbe Grün für allerbeste Compliance mit den Kriterien für gute Unterkünfte erhalten. Die sehen vier Mann pro Zimmer und keine Doppelstockbetten vor. Wie Hohn mutet es an, dass der Baggerfahrer Rekrutierungsgebühren zahlen musste. Die sind nicht nur laut den selbst gestellten Standards des WM-Ausrichters verboten. Sie verstoßen auch gegen das Arbeitsgesetz Katars.

Warum viele Arbeiter sich solche Zustände meist klaglos gefallen lassen, liegt an der fatalen Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Der organisiert als sogenannter Sponsor im Kafala-System auch das Visum, und er kann über ein Verweigern des sogenannten NOC (Non Objection Certificate) entscheiden, ob ein Arbeiter überhaupt das Land verlassen oder sich einen anderen Arbeitgeber suchen darf.

Klima der Angst

„Die Arbeiter haben Angst. Eine Beschwerde trauen sie sich allenfalls zu machen, wenn sie schon außerhalb des Landes sind. Denn wenn der Arbeitgeber ihnen keine Ausreiseerlaubnis gibt, dann haben sie keine Möglichkeit, das Land zu verlassen. Und wenn der Staat dann sieht, dass dein Visum schon abgelaufen ist, landest du im Gefängnis“, erläutert Gewerkschafter Frank die Abhängigkeiten.

Echte Gewerkschaftsarbeit darf Frank nicht leisten, das ist verboten in Katar. Also operiert er unterhalb des Radars, weist die Arbeiter auf ihre Rechte hin und ruft Selbsthilfenetzwerke ins Leben. Das kann die Situation mittelfristig verbessern. Seine Muttergewerkschaft BWI knöpft sich derweil direkt die Fifa vor. Sie forderte den Weltverband auf, „die alte Politik der Fifa, die jegliche wirkungsvolle Aktivität zum Schutz der Rechte der Arbeiter ablehnte, zu beenden“.

Der neue Fifa-Boss Gianni Infantino äußerte sich bisher zu vielen Themen. Zu den Arbeiterrechten im WM-Ausrichterland 2022 aber noch nicht.

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