■ In Süd-Korea droht eine gewalttätige Eskalation: Arbeit als patriotische Pflicht
In einem Punkt gleicht Kim Young Sam, erster ziviler Präsident Süd-Koreas, seinen Vorgängern aus der Zeit der Militärdiktatur: Er haßt das Regime in Nord- Korea von ganzem Herzen. In seinen Augen ist das Land stündlich von den Feinden im Norden bedroht.
„Wenn die Arbeiter ihre Streiks nicht unverzüglich einstellen, wird die Regierung strenge und resolute Mittel ergreifen, um die nationale Sicherheit zu schützen“, sagte gestern ein hoher koreanischer Funktionär. Diese Töne sind den Süd-KoreanerInnen höchst vertraut. Jahrzehntelang haben die Politiker-Generäle der Bevölkerung eingehämmert, ihr Land könne sich nur mit einer starken Wirtschaft gegen Nord-Korea verteidigen. Harte Arbeit wurde so zur patriotischen Pflicht erklärt, Streik zum Angriff auf die Grundfesten des Staates. ArbeiterInnen in den großen, eng mit der Regierung verbundenen Konzernen wie Hyundai und Samsung wurden häufig wie Rekruten behandelt. Der südkoreanische Geheimdienst – dessen Macht im Dezember wieder vergrößert wurde – hatte eine spezielle Truppe von Provokateuren, die bei Konflikten in die Fabriken geschickt wurden und von den Arbeitern bissig als „Liebt-die-Firma-Kommandos“ bezeichnet wurden.
Kam es dennoch zu Streiks, schlugen Polizei und Militär auf die Demonstranten ein. Auf diese militarisierte Kultur in Betrieben reagierten die Gewerkschaften entsprechend: Sie unterzogen ihre Mitglieder ebenfalls körperlichem Drill und verlangten oft heldenhaften Einsatz bei Straßenschlachten. Wie verankert diese militärischen Rituale immer noch sind, kann man täglich in den TV-Berichten sehen. Je unnachgiebiger sich die Regierung zeigte, desto größer wurde die Gefahr blutiger Auseinandersetzungen. Vor allem als die Behörden ankündigten, sie wollten Soldaten einsetzen, falls es wirklich zu dem für gestern angekündigten Generalstreik käme.
Der von den Arbeiterführern erhoffte größte Massenausstand in der Geschichte des Landes fand nicht statt. Die meisten Süd-KoreanerInnen gingen zum Dienst. Die Arbeiterführer zeigten sich daraufhin flexibel und kündigten für die nächsten Tage punktuelle Streiks an. Damit steigt die Chance, daß schlimme Kämpfe wie Ende der achtziger Jahre vermieden werden. Vielleicht ist das auch ein Zeichen dafür, daß die koreanische Gesellschaft ziviler geworden ist – auch wenn ihre Regierung an den alten Methoden festhält. Und auch wenn die nordkoreanische Propaganda jetzt täglich begeistert von den Streiks im Süden berichtet. Jutta Lietsch
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