Arabischer Aufstand: Syrien ohne Notstand
Wegen der nicht endenden Proteste verspricht das Assad-Regime nach über 50 Jahren den Ausnahmezustand aufzuheben - und versucht die Proteste als vom Ausland gesteuert zu diskreditieren.

In den syrischen Orten Hama, Daraa und in den Küstenstädten Latakia, Djeble und Banyas gab es am Wochenende Proteste. In Latakia sollen in den letzten Tagen einige Demonstranten erschossen worden sein. Ein syrischer Oppositioneller im Ausland sprach gegenüber al-Dschasira von vier Toten. Seit Sonntag kursiert ein Aufruf auf Facebook aus Solidarität mit den Menschen in Daraa und Latakia der Arbeit, den Schulen und Universitäten fernzubleiben.
Seit Mitte März kommt Syrien nicht mehr zu Ruhe. Es sind die größten und blutigsten Proteste seit der Niederschlagung des Aufstandes der islamistischen "Muslimbruderschaft" Anfang der 80er Jahre. Die Demonstranten auf den Straßen halten Plakate hoch mit der Forderung nach einem freien Syrien, rufen "Räuber raus". Im Internet kursiert ein Aufruf, den einige Regimekritiker und Vertreter der Zivilgesellschaft unterschrieben haben: Es geht dort auch um die Freilassung aller politischen Gefangenen. Der Schlusssatz lautet: "Das Einzige, was wir anstreben, sind Reformen."
Die Regierung reagierte auf den Aufstand mit Gewalt, Verhaftungen. Aber auch mit dem Versprechen, den seit 1963 geltenden Ausnahmezustandes aufzuheben und eine Kabinettsumbildung vorzunehmen. Ausländische schüren angeblich konfessionelle Unruhen in Syrien, so Buthaina Shaaban, die Beraterin des Präsidenten Baschar al-Assad. Es seien bereits Menschen verhaftet worden, sagte sie der BBC.
Der private syrische Fernsehsender Addounia TV strahlte am Samstag ein Interview mit einem jungen Mann aus, dessen Name nicht genannt wurde. Das Gespräch mit ihm sollte die These Shaabans bestätigen. Mit dem Argument, die Proteste würden konfessionelle Unruhen schüren, trifft Buthaina Shaaban einen empfindlichen Nerv. Für viele Experten galt die multiethnische und multireligiöse Zusammensetzung des Landes als ein Hindernis für den Ausbruch einer Revolution nach ägyptischem oder tunesischem Muster.
Die bei den Protesten aktiven Facebookgruppen betonen allerdings immer wieder, dass sie jedes diskriminierende Verhalten gegen religiöse oder ethnische Gruppen verurteilen würden, und veröffentlichten einen Kodex gegen Konfessionalismus in Syrien. Am Freitag hat die syrische Führung 260 politische Gefangene freigelassen. Dabei soll es sich um Islamisten handeln.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
+++ Die USA unter Trump +++
Trump entlässt den Generalstabschef der US-Streitkräfte
Regierungsbildung nach Österreich-Wahl
ÖVP, SPÖ und Neos wollen es jetzt miteinander versuchen
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“