: Appelle an Bürger:innen zeigen Wirkung
In der Gaskrise haben Aufrufe zum Energiesparen und andere Faktoren Verbraucher:innen eher dazu gebracht, weniger zu heizen, als höhere Preise, zeigt eine Studie

Von Anja Krüger
Appelle zum Sparen und andere nicht finanzielle Faktoren haben in der Energiekrise 2022 mehr bewirkt als die drastischen Preiserhöhungen fürs Heizen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, die der taz vorliegt. „Sollen kurzfristig Einsparungen beim Energieverbrauch erreicht werden, gelingt das besser über Appelle und Spartipps als über den Preis“, sagte Studienmitautor Till Köveker aus der Abteilung Klimapolitik des DIW Berlin der taz.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 war die Angst vor einem Mangel an Gas groß. Deutschland bezog einen erheblichen Teil seines Erdgases aus Russland. Der russische Staatschef Putin nutzte die Lieferungen als Drohpotenzial, indem er sie mal mehr, mal weniger drosselte. Seit Herbst 2022 kommt kein russisches Erdgas mehr über Pipelines nach Deutschland. Eine Folge waren drastisch steigende Preise fürs Heizen. Weil der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und andere für die Energieversorgung Verantwortliche fürchteten, dass Gas knapp werden könnte, appellierten sie an die Bürger:innen, weniger zu heizen. Etliche Organisationen gaben Energiespartipps.
Tatsächlich verbrauchten die privaten Haushalte in Deutschland 2022 gegenüber dem Vorjahr insgesamt 16 Prozent weniger Heizenergie. Davon gehen nur zwei Prozentpunkte auf die gestiegenen Preise zurück, so die DIW-Forscher:innen. Nicht monetäre Faktoren hatten im Krisenjahr einen mehr als viermal so großen Einfluss auf das Verbrauchsverhalten der Bürger:innen als die höheren Kosten, sagt Köveker. Die übrigen Einsparungen führen die Wissenschaftler:innen auf das wärmere Wetter zurück sowie nach der Coronakrise die Rückkehr von Beschäftigten aus dem Homeoffice.
„Appelle und Spartipps hatten zumindest kurzfristig einen starken Effekt“, ist Köveker überzeugt. Welche Motive genau die Bürger:innen bewegten, die Raumtemperatur zu drosseln, ist aus den Daten nicht ablesbar. Die Forscher:innen gehen davon aus, dass die anhaltende Debatte etwa über die Gasspeicherfüllstände oder Informationskampagnen Spuren bei den Bürger:innen hinterlassen haben.
Für die Studie haben die Wissenschaftler:innen Heizungsabrechnungen von mehr als 140.000 Mehrfamilienhäusern in Deutschland für das Jahr 2022 ausgewertet, die sie vom Immobiliendienstleister Ista SE erhalten hatten. Die Ergebnisse seien auf den gesamten Gebäudebestand übertragbar, so Köveker. Die Forscher:innen verglichen die Haushalte, deren Heizkosten gestiegen waren, mit denen ohne Preiserhöhung. In den Wohnungen mit steigenden Kosten sank der Verbrauch um zwei Prozent stärker als in den anderen – umso mehr, je höher die Kosten kletterten. „Der Preis hat schon einen Effekt“, sagt Köveker. „Aber recht schwach.“
Stiegen die Heizkosten um weniger als 25 Prozent, konnten die Wissenschaftler:innen keinen signifikanten Effekt erkennen. Eine Erklärung dafür ist, dass Vermietende in diesen Fällen die Abschlagszahlungen fürs Heizen nicht angepasst haben und den betroffenen Haushalten die Erhöhung nicht klar war. Das Wissen um den Preisanstieg könnte auch die Ursache für einen weiteren Effekt sein: Haushalte, die mit Fernwärme heizten, sparten mehr als die mit Gasheizungen. Bei Fernwärme gibt es in der Regel nur einen Anbieter, Nachbarschaften sind gleichermaßen von Preiserhöhungen betroffen – weshalb eher darüber gesprochen wird.
Bei einer künftigen Energiekrise wäre es für die Regierung sinnvoll, nicht monetäre Instrumente wie Appelle gezielt zu nutzen. „Sich allein auf eine Preiserhöhung zu verlassen, würde wahrscheinlich nicht funktionieren“, sagte er. Die Studie gebe keine Auskunft darüber, wie nachhaltig Appelle langfristig wirken, etwa um Verhaltensänderungen mit Blick auf die Klimakrise zu bewirken.
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