Appell an die Stadt: „Wegsperren ist keine Lösung“
Hamburg solle keine Kinder mehr in der Haasenburg unterbringen, fordert die Gewerschaft Ver.di. Der Senat will sich nicht festlegen, Forscher benennen Alternativen.
In den Streit über die Haasenburg GmbH hat sich jetzt Ver.di eingemischt. In einer Resolution, die unter den Jugendämter verbreitet wird, warnt die Fachgruppe Soziales, Kinder und Jugendhilfe (SKJ) angesichts der bekannt gewordenen „kindeswohlgefährdenden Zustände“ dürfe die Fachbehörde die drei Heime der brandenburgischen Firma nicht mehr belegen. Denn fachliches Handeln schließe eine Aufnahme gefährdeter Jugendlicher durch diesen Träger aus.
Dem voran gingen nicht nur Zeitungsberichte und schriftliche Anfragen über strittige Methoden des Heims. Ver.di-Mitglieder waren auch am 25. März bei einer Veranstaltung vom Verein „Anwalt des Kindes“, als ein 19-Jähriger Ex-Insasse das Wort ergriff und dem Fachpublikum berichtete, was er mit 16 und 17 Jahren in der Haasenburg erlebte. Er sei häufig ohne Grund im Stehen oder auf dem Boden liegend „begrenzt“ worden, wodurch ihm immer wieder Schmerzen, Schürfwunden und blaue Flecke zugefügt worden seien. Noch heute habe er Angst, wenn er im Bett liegt und Geräusche hört, dass Betreuer ins Zimmer kommen. Gefängnis wäre ihm lieber gewesen.
„An dem Bericht hat jeder im Saal gemerkt, so etwas denkt sich keiner aus“, sagt Mehmet Yildiz (Die Linke), der die Resolution begrüßt. Es sei doch nicht zu verantworten, dass Hamburg die Heime belege.
Nach Angaben der Sozialbehörde sind derzeit 14 Minderjährige außerhalb Hamburgs in geschlossen Heimen, davon 13 in den Heimen der in Brandenburg gelegenen privaten Haasenburg GmbH.
Neun Kinder und Jugendliche betreut das auf Delinquenz spezialisierte Familieninterventionsteam (FIT).
Von 2009 bis 2012 hat das FIT laut Behörde rund 80 geschlossene Unterbringungen in die Wege geleitet und entsprechende Stellungnahmen bei Gericht eingereicht. Bei einem Teil der Fälle lehnten die Richter dies ab.
Seit Schließung der Feuerbergstraße im Herbst 2008 sind bis heute mehr als 50 Minderjährige in die Haasenburg gekommen.
Vor Schließung der Feuerbergstraße waren im 2008 zuletzt fünf Jugendliche im stadteigenen Heim - nur einer war Hamburger.
„Wegsperren ist keine Lösung“, sagt auch die zuständige Ver.di-Sekretärin Sieglinde Frieß. Geschlossene Unterbringung sei äußerst problematisch und in einem anderen Bundesland wenig zu steuern. Dringend nötig wären „adäquate Alternativen“, damit die Fachkräfte in den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) und beim Familieninterventionsteam (FIT) ihren Jugendhilfeauftrag erfüllen könnten.
Nach taz-Information schicken einige Jugendämter bereits keine Kinder mehr in die Haasenburg, doch insgesamt lassen die Bezirke noch vier und das direkt der Behörde unterstellte FIT neun Kinder dort betreuen.
Mit der Ver.di-Forderung konfrontiert, erklärt Sozialbehördensprecher Olaf Dittmann, es wäre mit dem Gesetz nicht vereinbar, bestimmte Angebote auszuschließen. Die geschlossene Unterbringung fände nur in wenigen Fällen als „ultima ratio“ statt. „Und auch dann umfasst sie nur wenige Wochen am Beginn eines Hilfeprozesses“, sagt Dittmann. Diese Darstellung, die SPD-Sozialsenator Detlef Scheele in der Bürgerschaft vorbrachte, deckt sich nicht mit Berichten von Ex-Insassen. Wer aus der Haasenburg flüchtet, so schildern sie, werde eingefangen und mit Einzelbetreuung bestraft.
Gleichwohl sagt die Behörde zu, sie sei an Alternativen interessiert. Wenn es Träger gebe, die diese entwickeln, so Dittmann, würden die auch berücksichtigt.
Einen konkreten Vorschlag hat das „Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung“ (AGU), das sich seit Neuestem wieder in der Fachhochschule des Rauhen Hauses trifft. „Es könnte ein Kooperations-Pool von erfahrenen Mitarbeitern verschiedener Träger geben“, sagt Sozialwissenschaftler Timm Kunstreich. Statt Jugendliche aus ihrem Umfeld zu reißen, solle man mit ihnen zusammen eine Lösung finden. So einen Pool gab es in den 80ern schon. „Es ist erwiesen, dass so schwierigste Situationen gemeistert werden können“, sagt Kunstreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden