piwik no script img

■ DokumentationApparat„demokratie“

Die PDS ist „bestenfalls eine sozialdemokratische Partei mit einer stalinistisch geprägten Führungsstruktur und -kultur“. Zu dieser Einschätzung kommt einer, der es eigentlich wissen muß. Udo Weinrich war in den letzten vier Jahren in der Bundestagsfraktion der PDS der zuständige Referent für Wirtschaft, Finanzen und Umwelt. Zum Ende des Jahres hat er gekündigt. Im folgenden sind Auszüge aus seinem Abschiedsbrief an die Fraktion dokumentiert.

„Die Bundestagsgruppe ist politisch phantasielos und ohne Biß. Ihre praktische Politik hat keine Achse, sie ist widersprüchlich, ja hoffnungslos. Gesellschaftliche und innerparteiliche Konflikte werden nicht analysiert und offen ausgetragen, sondern entweder ignoriert oder aber personalisiert und dann administrativ „erledigt“. Streitfragen werden durch die Methoden der Apparat„demokratie“ entschieden, das heißt durch Befragung einzelner MdB oder – seltener – einzelner MitarbeiterInnen. Die anscheinend unheilbare Ohnmacht der PDS besteht darin, daß sie unter dem Schein äußerer Aktivität nicht weiß, was sie tut. Damit beweist sie Kontinuität zur SED. Die PDS hat nicht im mindesten die unvermeidlichen Resultate der politischen Entwicklung in diesem Land vorhergesehen (zum Beispiel Bosnien und die Militarisierungsdebatte, Rolle der Ökologie – Brent- Spar, Muroroa –, Erosionsprozesse im DGB und in der SPD, Tolerierungsmodell in Sachsen- Anhalt ...), die ihr dann jedesmal über den Kopf wuchsen und auf die sie dann mit Pawlowschen Reflexen reagierte.

Die PDS wird das in den Anfangsjahren der Grünen erreichte Niveau der Kritik an den Institutionen der bürgerlich- parlamentarischen Demokratie niemals erreichen. Statt dessen nimmt das Bemühen um parlamentarische Reputierlichkeit zu und zeitigt u. a. das groteske Resultat, daß ein Abgeordneter einer Partei, für die „Kein Tag ohne Opposition“ vergehen soll, den Ordnungsruf eines Parlamentspräsidenten mehr fürchtet als die Kriegspläne der Regierung. (...)

Mutige, aufrichtige, selbstkritische Leute gab und gibt es in der PDS, das weiß ich. Einige habe ich kennengelernt. Doch diese haben keine Chance, weil die feudalistische Apparatschikmentalität nach wie vor diese Partei beherrscht. Es war und bleibt ein tödlicher Fehler, „den Stalinismus mit den Methoden des Stalinismus zu überwinden“ (Robert Havemann). (...) Ich habe erkennen müssen, daß die PDS bestensfalls eine sozialdemokratische Partei mit einer stalinistisch geprägten Führungsstruktur und -kultur ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen