Anzeige gegen Finanzsenator: Volksfront gegen Sarrazin
Der Petitionsausschuss beschließt Finanzsenator Sarrazin anzuzeigen: Er habe Steuergeheimnisse von Abgeordneten gelüftet. Damit eskaliert ein langer Streit, der mit Mobbing im Finanzamt begann.
Die Geschichte klingt wie aus dem Tollhaus: Ein Finanzsenator, der sich von berufswegen mit Fiskalischem auskennen sollte, wird angezeigt, weil er das Steuergeheimnis gelüftet hat. Abgeordnete fühlen sich vom Finanzamt gemobbt und vermuten als Hintergrund, dass sie selbst gerade Mobbing im Finanzamt prüfen. Die Opposition wittert einen "staatsstreichartigen Angriff auf das Parlament" - geführt vom Staat selbst.
Doch der Reihe nach. Der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses hat am Dienstag beschlossen, Strafanzeige gegen die Verwaltung von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zu stellen. Die Behörde habe widerrechtlich Steuerdaten von Parlamentariern veröffentlicht, was eine Nötigung einer Verfassungsbehörde darstelle, so die Begründung. Der Beschluss fiel einstimmig, auch die SPD- und Linke-Abgeordneten im Ausschuss halten den Senator also für einen Rechtsbrecher. Und die Opposition rast: An einen "Anschlag auf die Freiheit des Parlaments" glaubt CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, sein Grünen-Kollege Volker Ratzmann erkennt "Machtmissbrauch" und "absolutistische Züge" Sarrazins.
Was ist passiert? Die Anzeige, die heute eingereicht wird, ist die Eskalation eines langen Streits zwischen Verwaltung und Ausschuss, der sonst - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit - Bürgereingaben bearbeitet. Die Finanzverwaltung hat am Montag in einer Pressemitteilung Details der Steuerfälle des SPD-Abgeordneten Ralf Hillenberg, des FDPlers Rainer-Michael Lehmann, des Ex-CDU-Abgeordneten Ulrich Brinsa und eines Anwalts veröffentlicht. In dem Papier ist von "zweifelhaft gebliebenen Fahrtkosten" die Rede, und von ausbleibenden Steuerzahlungen, die zu einer Kontopfändung führten.
Die Finanzverwaltung begründet die mit dem Bundesfinanzministerium abgesprochene Bloßstellung einfach: Alles Notwehr! Die Abgeordneten hätten in der Öffentlichkeit unwahre Tatsachen verbreitet, die "geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern", lässt Sarrazin mitteilen. Deshalb sei das Outing zulässig. Zuvor habe man die Parlamentarier um die Aufhebung des Steuergeheimnisses gebeten, der Bitte seien sie nicht gefolgt.
Mit der Veröffentlichung wollte der Finanzsenator einen Vorwurf entkräften, den alle vier in den vergangenen Monaten des öfteren wiederholt hatten. Sie hatten den Verdacht geäußert, aufgrund ihrer Tätigkeit im Petitionsausschuss wegen einer Mobbingaffäre im Finanzamt von der Behörde mit "Sonderprüfungen" belegt worden zu sein - quasi als Retourkutsche. Die Ermittlungen des Ausschusses liegen fast drei Jahre zurück: Finanzbeamte hatten sich damals an den Petitionsausschuss mit der Beschwerde gewandt, ein Abteilungsleiter im Finanzamt für Fahndung und Strafsachen mobbe sie. Die Vorwürfe seien berechtigt, erklärte daraufhin Ausschuss-Chef Hillenberg im Dezember 2004.
Hillenberg und seine Kollegeen sprachen daher seit Monaten von einer späten Rache der Finanzbehörde. Finanzsenator Sarrazin hatte dies immer als absurd abgetan und die "tadellose" Arbeit seiner Mitarbeiter herausgestellt. "Wer allen Ernstes auf die Idee käme, bei Abgeordneten aufgrund ihrer parlamentarischen Tätigkeit steuerliche Prüfungen zu veranlassen, würde damit seine Existenz aufs Spiel setzen. Schon die Idee ist abenteuerlich." Es gebe zudem keine zentrale Koordinierung oder Veranlassung von Steuerprüfungen, so Sarrazin weiter.
Die veröffentlichten Daten belegen diese Sicht. Die von den Abgeordneten als Drohgebärden bemängelten Prüfungen wurden teils lange vor den Recherchen des Ausschusses anberaumt. Jetzt werden sich Staatsanwaltschaft und Ältestenrat des Parlaments mit dem Fall befassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid