Anwohnerprotest im Berliner Norden: Bäume statt Autos
In Frohnau sollten 80 Ahornbäume einem Parkstreifen weichen. Eine Bürgerinitiative stellt sich dagegegen und verhindert die Fällung in letzter Minute.
Durch Zufall erfuhr Cornelia Gumbel im März auf der Homepage des Reinickendorfer Bezirksamts, dass knapp 80 der zum Teil über 70 Jahre alten Ahornbäume in ihrer Straße gefällt werden sollen. Von der geplanten Sanierung und Asphaltierung der Senheimer Straße wusste sie. Doch von den geplanten Baumfällungen war ihr bislang nichts bekannt.
„Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass hier 80 Bäume gefällt werden“, erinnert sich Gumbel. „Das fällt doch aus der Zeit!“ Denn die Bäume sind nicht nur charakteristisch für den Nordberliner Ortsteil Frohnau, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als sogenannte Gartenstadt konzipiert wurde. Bäume haben auch wichtige ökologische Funktionen und leisten effektiven Klimaschutz: Durch ihre Verdunstung sind sie natürliche Klimaanlagen, ihre Photosynthese sorgt für Sauerstoff und filtert die Luft und ihre Baumkronen spenden Schatten und bieten Lebensraum. In Zeiten der voranschreitenden Erderhitzung sind sie essenziell, um ein lebenswertes Stadtklima zu bewahren.
Fünf Familien machten den Anfang
Die Bäume müssen erhalten werden, wusste Gumbel und alarmierte den Umweltverein BUND und den Frohnauer Bürgerverein. Schnell schlossen sich ihre Nachbar*innen an. Erwin Reiners ist einer davon. „Wir waren fünf Familien, die hier zum Teil schon seit 40 Jahren wohnen“, erzählt er. „Und wir haben uns gesagt: Wir machen da jetzt was!“ Sie verfolgten regelmäßig Sitzungen der Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und reichten dort ihre Fragen zu den Bäumen ein. Unterstützt wurden sie von der Grünen-Fraktion, die einen Dringlichkeitsantrag stellte. Am 25. Mai gründeten die Nachbar*innen die Initiative Senheimer Straße. Schnell wuchs die Gruppe auf 50 Mitglieder, von denen rund ein Dutzend als harter Kern aktiv blieb.
Die Sanierungspläne für die Senheimer Straße existieren bereits seit 2017. Damit die Freiwillige Feuerwehr, deren Wache sich seit Januar dieses Jahres am Ende der Straße befindet, schneller zu ihren Einsätzen fahren kann, sollte die Fahrbahn asphaltiert und inklusive der seitlichen Parkstreifen um 50 Zentimeter nach Osten verschoben werden. „Dadurch sollten die westlichen Bäume vor den Umbaumaßnahmen geschont werden“, erklärt Andreas Rietz von der Grünen-Fraktion der taz. Die Bäume auf der östlichen Seite sollten jedoch weg.
Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) begründete die Baumfällungen stets mit der eingeschränkten Verkehrssicherheit durch die vermeintlich kranken Straßenbäume. Dabei bezog sie sich auf ein Gutachten, das 2017 vom Bezirksamt durchgeführt wurde und zwischen 60 und 80 Bäume identifizierte, die tot oder „in ihrer Vitalität eingeschränkt“ seien. Die Mitglieder der Bürgerinitiative konnten das nicht nachvollziehen. „Auf uns wirkten die Bäume vollkommen gesund“, erklärt Gumbel. Doch das Gutachten war nicht öffentlich einsehbar.
Acht Wochen lang machten die Nachbar*innen in der BVV Druck, um an das Dokument heranzukommen. „Wir haben die richtig genervt“, sagt Gumbel. Während die Stadträtin Schrod-Thiel weiterhin die Notwendigkeit der Fällungen verteidigte, begannen die Abgeordneten der anderen Fraktionen, sich für den Fall zu interessieren und forderten ebenfalls Einsicht in das Gutachten. Mitte Juni kündigte Schrod-Thiel schließlich an, ein neues Gutachten erstellen zu lassen. Dabei machte sie deutlich, dass sie nicht davon ausgehe, dass es den Bäumen inzwischen besser geht. Kurze Zeit später war der Druck so groß, dass das alte Gutachten doch publiziert wurde.
Wachsende Kritik
Mit der Veröffentlichung wurde die Kritik noch lauter. „Das Gutachten wirft eine Reihe von Fragen auf und macht es schwer, die bisherigen Aussagen der zuständigen Stadträtin nachzuvollziehen“, urteilten etwa die Grünen. Es würde dort keine einzige Fällung empfohlen und auch Erkenntnisse zu Krankheiten gebe das Gutachten nicht her. Der Bürgerinitiative fiel zudem auf: Nur die Bäume auf der Ostseite – also die, die den Parkplätzen im Weg waren – schienen in ihrer Vitalität eingeschränkt zu sein. Die auf der Westseite sollten dagegen alle gesund sein.
Etwa einen Monat später erschien das neue Gutachten. Statt der ursprünglich 60 bis 80 kranken Bäume, die gefällt werden müssten, war plötzlich nur noch von elf die Rede. Abgesagt wurden die Pläne zunächst trotzdem nicht, denn die Abgeordneten befanden sich in der Sommerpause. Mit einer Online-Petition versuchte die Bürgerinitiative nun, die Fällung der Bäume, die bereits ab dem 1. Oktober geplant war, zu verhindern. Die Petition wurde seit dem 20. Juli mehr als 1.000 Mal unterzeichnet.
Es müsse „kein einziger Baum gefällt werden, wenn auf einer Straßenseite auf den Parkstreifen verzichtet wird“, heißt es in der Petition. Zumal keinerlei Parkdruck bestehe. Ohne den geplanten Parkstreifen könnten nicht nur alle gesunden Bäume erhalten werden, die Freiwillige Feuerwehr bekäme sogar eine noch bessere Durchfahrt. „Hier lag der Grundfehler in der Planung“, sagt der Grünen-Abgeordnete Rietz. „Man wollte die gesamte Straße verschieben, inklusive der beiden seitlichen Parkstreifen. Aber es hätte ein Streifen auf einer Seite gereicht.“
Anderthalb Monate später kam dann plötzlich die Wendung: Mitte September verkündete Stadträtin Schrod-Thiel: „Die Fällungen von Bäumen auf der östlichen Seite zur Sanierung der Senheimer Straße wurden verworfen.“ Die Abgeordneten der anderen Fraktionen beglückwünschten die Bürgerinitiative. Es sei „beeindruckend“, in welch kurzer Zeit diese es geschafft habe, „hier einen ganz grundsätzlich neuen Weg zu eröffnen“, lobte etwa David Jahn von der FDP.
Initiative will wachsam bleiben
Ob sie zufrieden sind mit den Planänderungen? Ja, antworten Gumbel und Reiners. Das Hauptziel haben sie erreicht, die Bäume können bleiben – zumindest ein Großteil von ihnen. Doch das reicht ihnen nicht. Auch die elf Bäume, die laut neuem Gutachten gefällt werden sollen, wollen sie noch retten. „Wir werden die Baumaßnahmen bis zum Schluss begleiten“, betont Gumbel. Erst wenn diese abgeschlossen sind, würden sie die Bürgerinitiative auflösen. Zumindest so halb. Denn es gibt bereits weitere Sanierungspläne in der Umgebung. Sollten sie von Initiativen aus anderen Straßen hören, würden sie wieder aktiv werden und helfen. „Wir sind ja jetzt Experten“, sagt Reiners lachend.
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