Anton Hofreiter über Kandidatur 2017: „Ich trete an“
Anton Hofreiter will an die Spitze. Ein Gespräch über Konkurrenten, die Jugend in Bayern und darüber, was er mit einer Orchidee gemein hat.
taz.am wochenende: Herr Hofreiter, die Grünen werden alle Mitglieder entscheiden lassen, wer 2017 Spitzenkandidat wird. Werden Sie sich bewerben?
Anton Hofreiter: Ja, ich möchte kandidieren. Wenn es so weit ist, werde ich offiziell meine Bewerbung für die Urwahl einreichen. Ich will Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf 2017 werden.
Warum?
Schauen Sie sich um. Eine Krise jagt die nächste. Erst kam die Finanzkrise, dann die Eurokrise, jetzt erleben wir Krisen, die Millionen Menschen zur Flucht zwingen. Diese Krisen fallen nicht vom Himmel. Eine falsche Politik ist für sie verantwortlich. Ich möchte für echte Veränderungen kämpfen, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen.
Wieso sollte die Basis Sie wählen?
Ich stehe für grüne Kernthemen. Für Klimaschutz, eine ökologische Agrarwende und internationale Solidarität. Ich habe als Biologe vor meiner Politiklaufbahn viele Länder bereist, weiß also, wie ungerecht es auf der Welt zugeht, warum wir vieles verändern müssen. Und: Ich habe keine Angst vor Auseinandersetzungen. Progressive Politik muss sich trauen, große Ziele gegen Widerstand durchzusetzen. Dieses Angebot möchte ich den Grünen machen.
Viele Grüne rätselten ja, ob sie antreten. Wann haben Sie das für sich entschieden?
Der Gedanke reift schon länger, bestimmt seit einem Dreivierteljahr. Endgültig entschieden habe ich mich nach der Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender.
Sie sind seit zwei Jahren Fraktionschef, also noch ein Neuling im engeren Führungszirkel.
Das stimmt. Aber ich bin bereit, auch ein Risiko einzugehen. Ich bin nicht der Typ, der zögert, wenn ihm etwas wichtig ist.
47, ist seit 2013 Fraktionsvorsitzender der Grünen. Er wollte die Grünen als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf führen, landete aber bei der Urwahl nur auf Platz drei hinter Cem Özdemir und Robert Habeck.
Sie werden gegen zwei Grünen-Promis konkurrieren – gegen Robert Habeck und Cem Özdemir. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Ich trete an. Wenn ich antrete, will ich gewinnen. Schauen wir mal. Die Grünen sind eine Partei, die immer für Überraschungen gut ist.
Özdemir ist prominenter als Sie, Habeck kommt rhetorisch eleganter rüber.
Ich schätze beide sehr. Robert ist ein origineller Kopf und macht tolle Arbeit. Und Cems Engagement gegen rechts zum Beispiel ist wirklich großartig.
Manche Grüne vertreten die Theorie, Sie seien schon wegen Äußerlichkeiten kein massentauglicher Kandidat. Die langen Haare, der Dialekt …
Ich glaube, viele Leute haben die Nase voll von diesen genormten Figuren und dem glatt geschliffenen Politsprech. Die Leute wollen eher Politiker, die nicht vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Und die sich nicht sofort in die Büsche schlagen, wenn es kompliziert wird.
Wie schlimm wäre es zu verlieren?
Wenn man antritt, muss man damit umgehen können zu verlieren, klar.
Ich habe den Eindruck, die Grünen wollen es sich bloß nicht mit dem bürgerlichen Mainstream verscherzen. Alle loben Merkel.
Quatsch. Von Angela Merkel wird ja gerne behauptet, dass sie pragmatisch Krisen löst. Aber sie hat keine Idee, wohin sie dieses Land führen will. Merkels Zerlegen von Politik in Schrittchen, dieses ständige Fahren auf Sicht, all das ist aus meiner Sicht eine Ursache dafür, dass wir ständig im Krisenmodus festhängen.
Muss man Ihre Kandidatur als Gegengewicht zur Verbürgerlichung der Grünen sehen?
Ich sehe keinen konservativen Trend bei den Grünen.
Ernsthaft?
Wir stehen in dieser Legislaturperiode klar für den Kohleausstieg. Wir lehnen TTIP und Ceta so ab. Wir sind für ein solidarisches Europa. Wir werben für eine Agrarwende, mit der wir uns mit einer ganzen Industrie anlegen. Der Bauernverband hat Demos gegen mich organisiert. Keine Angst: Mit mir landen die Grünen nicht in der konservativen Ecke.
Die Grünen unterstützen die Sparpolitik, die Merkel den Griechen aufzwang.
Das tun wir nicht, die Abstimmung war ein klassisches Dilemma. Griechenland konnte ohne neue Hilfen nicht im Euro bleiben. Aber die Bedingungen, die die Bundesregierung gestellt hat, halten wir für falsch und ungerecht. Dazu kommt: Ein verarmtes Land wird seine Schulden nie zurückzahlen können. Deshalb haben wir unsere Kritik formuliert, aber den Hilfen zugestimmt.
Sie haben neulich die größte Asylrechtsverschärfung seit Helmut Kohl unterschrieben.
Die Kommunen brauchten dringend mehr Geld, um den vielen Flüchtenden zu helfen. Unsere Landesregierungen haben angesichts dieser beispiellosen Herausforderung hart verhandelt, aber am Ende einen Kompromiss ermöglicht. Das war schmerzhaft, aber in dieser Situation verständlich.
Ein kurzes Quiz. Ich sage eine These, Sie sagen, ob Sie dafür oder dagegen sind. Okay?
Immer her damit.
Die Grünen müssen sich trauen, der Autoindustrie harte Vorschriften zu machen. Sonst klappt es nicht mit der ökologischen Wende.
Ja, klar. Wir wollen das Nullemmissionsauto, und dazu müssen wir harte Vorgaben durchsetzen. Konzerne, die auf fossile Dreckschleudern setzen, sind nicht zukunftsfähig und könnten enden wie Eon und RWE. Das will ich nicht
Die Grünen müssen die industrielle Landwirtschaft mit strengen Regeln eindämmen, nur so klappt das mit dem guten Essen für alle.
Neulich bin ich nach Brasilien gereist. Da habe ich die Sojamonokulturen besichtigt, die das Futter für deutsche Kühe und Schweine produzieren. Totes Land bis an den Horizont, das ist verrückt. Deshalb brauchen wir strenge Regeln für die Haltung, die Fütterung und die Schlachtung von Tieren in der Landwirtschaft.
Letzte These: Die Grünen müssen höhere Steuern von Reichen fordern, um bessere Schulen zu finanzieren.
Ich stimme zu. Wer wirklich reich ist, sollte mit mehr Steuern zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft beitragen. Das Vermögen der Superreichen in Deutschland wächst immer weiter. Wir wollen ein gerechteres Steuersystem, das große Vermögen stärker heranzieht und Klein- und Normalverdiener entlastet.
Sie sind in Sauerlach aufgewachsen, einem 8.000-Einwohner-Ort vor München. Ein linker Jugendlicher in CSU-Country?
Sauerlach ist tiefstes Oberbayern mit all seinen Widersprüchen. Die CSU ist stark, aber viele Menschen denken sehr liberal. Es heißt ja: In Bayern wählen 50 Prozent der Leute die CSU, aber 80 Prozent sind Anarchisten.
Wie wurden Sie politisiert? Sie sind mit 16 Jahren bei den Grünen eingetreten.
Ich habe schon mit 14 angefangen, im Ortsverein mitzuarbeiten. Wackersdorf, das Waldsterben, die Friedenspolitik – diese Themen haben mich früh gepackt. Bei uns zu Hause wurde viel über Politik diskutiert. Meine Großväter waren Maurer und Elektriker, mein Vater hat auf dem zweiten Bildungsweg seinen Ingenieur gemacht. Meine Geschwister und ich waren die Ersten in der Familie, die aufs Gymnasium gingen. Da habe ich viel über ungleiche Bildungschancen gelernt.
Mit 16 interessieren sich die meisten Jungs für Fußball, Bier und Mädchen.
Ich war ein Exot unter meinen Klassenkameraden. Aber andererseits fanden die das auch spannend, wenn ich von großen Demos gegen Wackersdorf erzählt habe. Echt, du warst da? Stimmt das, dass die Polizei so brutal draufhaut? Und dass Bauern mit Treckern gegen die Absperrungen fahren?
Sie sind promovierter Biologe und haben vor Ihrer Karriere als Berufspolitiker Expeditionen im peruanischen Bergland gemacht. Prägt das Ihren Blick auf die Politik?
Als Naturwissenschaftler analysiert man die Wirklichkeit. Ökosysteme sind sehr komplex. Alles hängt mit allem zusammen. Das schärft das Bewusstsein dafür, wie abhängig menschliches Leben davon ist, dass Ökosysteme und unser Planet stabil funktionieren. Wir brauchen Wasser, saubere Luft und guten Boden, um zu existieren.
Sind Sie eher Naturwissenschaftler oder eher Politiker?
Beides. Naturwissenschaftler beobachten sehr genau. Sie erforschen, warum Dinge so sind, wie sie sind. Diese Ausbildung prägt natürlich. Als Politiker will ich die Welt besser machen.
Hilft Ihnen dieses Denken in der Politik? Oft machen Spitzenpolitiker ja Vorschläge, die auf Schlagzeilen zielen, aber in der Wirklichkeit wenig bringen.
Ich glaube, diese Art von Politik stößt Leute auf lange Sicht ab. Nehmen wir die Transitzonen: Den intelligenteren Leuten in der Union ist klar, dass sie keine Camps an der bayerischen Grenze bauen können, in denen Hunderttausende eingesperrt sind. Das ist Politiktheater.
Der Politikdschungel ist ja voll von geltungssüchtigen Orchideen, die alle ins Licht drängeln. Was sind Sie für eine Pflanze?
Unterschätzen Sie mal die Orchideen nicht. Das sind Pflanzen, die haben Tausende Jahre Evolution hinter sich. Sie sind zäh und hart im Nehmen. Sie sind gerade nicht geltungssüchtig. Es gibt 20.000 Orchideenarten, davon sind 18.000 eher unscheinbar.
Sie sind also eine Orchidee?
Ich bin zäh und hart im Nehmen.
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