piwik no script img

Antispektakuläres Spektakel

■ Das Abaton lädt zu einem Abend mit der Experimentalfilmerin Sharon Lockart

„Wir haben es mit einem Kunstwerk zu tun, das sich kaum einordnen lässt, nicht einmal als Porträt.“ Statements wie dieses aus dem Ausstellungskatalog begegnen einem häufiger, wenn man sich mit dem fotografischen und filmischen Werk der amerikanischen Künstlerin Sharon Lockhart beschäftigt. Angesiedelt zwischen Konzeptkunst mit ethnografischem Einschlag und filmischem Minimalismus à la Warhol, verbergen ihre Arbeiten so viel wie sie zeigen, verweigern so viel an Hintergrund, wie sie andeuten.

In Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Wolfsburg, das derzeit eine Ausstellung der fotografischen Arbeiten Lockharts zeigt, laufen am Montag drei ihrer Filme im Abaton. Der erste, Teatro Amazonas, entführt den Zuschauer in das legendäre Opernhaus von Manaus. Der opulente Bau in der Amazonas-Metropole, wohlbekannt aus Werner Herzogs Fitzcarraldo, ist Schauplatz einer Aufführung der besonderen Art: Gezeigt wird nicht das Geschehen auf der Bühne, sondern das im Zuschauerraum. Während das Publikum auf den Beginn der Vorstellung wartet, ertönt aus dem Orchestergraben ein voluminöses, eigens für dieses Ereignis komponiertes Klangbild, das im Verlauf der folgenden vierzig Minuten immer leiser wird, bis die Tonspur schließlich ganz dem Publikum überlassen bleibt. John Cage lässt grüßen. Der Film besteht aus einer einzigen, ungeschnittenen Einstellung. Innerhalb des formal rigiden Rahmens einer Real-Time-Aufnahme entfaltet sich ein eher unspektakuläres und im Detail oft vom Zufall bestimmtes Geschehen. Die Auswahl des Theaterpublikums nach statistischen Kriterien – es soll die Einwohner der verschiedenen Viertel und sozialen Schichten Manaus repräsentieren – ist typisch für die Lockartschen Hybridformen aus Ethnografie und Performance, die auch ihre Amazonas-Fotos prägen.

Ein streng formalisierter Rahmen und die Projektion divergierender kultureller Elemente sind auch kennzeichnend für den 1997 entstandenen Film Goshogoa. Die sechs zehnminütigen Einstellungen zeigen japanische Mädchen beim Basketball-Training. Auch hier spielt Lockart mit dem dokumentarischen Gestus und verfremdet ihn, indem sie das gewöhnliche Trainingsprogramm in eine perfekte Choreografie überführt. Das Amerikanische dieser Sportart tritt in der Verfremdung durch einen anderen kulturellen Kontext umso deutlicher hervor. Über den ethnografischen Wert lässt sich wohl streiten.

Khalil, Shaun, A Woman under the Influence enstammt einer etwas älteren Schicht von Lockharts Werk. Das Spiel Lockarts mit der Ästhetik des Dokumentarischen zielt hier auf die klinische Fotografie von Narben und Hautkrankheiten und macht deren Übergänge ins Horrorgenre deutlich.

Wer hiernach Lust auf mehr hat, kann noch bis zum 27. August nach Wolfsburg reisen, um im dortigen Kunstmuseum die Fotos zu betrachten, die Sharon Lockhart auf ihrer Reise durch Amazonien gemacht hat.

Olaf Tarmas

Teatro Amazonas, Goshogoaka und Khalil, Shaun, A Woman under the Influence: 17.7., 19.30 Uhr in Anwesenheit der Künstlerin; Teatro Amazonas ist außerdem im Rahmen der Ausstellung noch bis zum 27.8. im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen: Mi. – So. 11 – 18 Uhr, Di. 11 – 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen