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Antisemitismusvorwürfe gegen AiwangerDer bockige Hubert

Hubert Aiwanger äußert sich zu Hitlergruß- und Antisemitismus-Vorwürfen. Anstatt sich zu entschuldigen begibt er sich lieber in die Opferrolle.

Eine Kampagne! Astreine Aiwangersche Vergangenheitsbewältigung Foto: imago

H ubert Aiwanger will ein Politiker aus Leidenschaft sein. Jedenfalls schreibt er das über sich selbst in seiner Biografie bei X (ehemals Twitter). Ein solcher Politiker aus Leidenschaft, der darf auch mal Fehler machen, darf sich geirrt haben; der kann später Reue zeigen, kann sich hinstellen und sagen: Ich schäme mich für das, was damals passiert ist. Ein Politiker aus Leidenschaft, der nimmt schwerwiegende Vorwürfe ernst, der beteiligt sich an der Aufarbeitung und Aufklärung.

Ein Populist hingegen, der macht keine Fehler. Der kennt nur Härte. Der macht Stimmung. Kocht sich und die Massen hoch, kennt nur den Weg nach vorne, mit dem Kopf durch die Wand; weiß Ängste zu schüren und vorzugeben, selbst keine zu haben.

Bayerns Vize-Regierungschef und Chef der Freien Wähler Hubert Aiwanger brauchte fast eine Woche (!!), um sich zu der wachsenden Zahl an Vorwürfen gegen ihn, in dessen Zentrum ein nazistisches und antisemitisches Pamphlet steht, länger zu äußern. Am Mittwoch wollte er noch seit Jahrzehnten kein Antisemit gewesen sein, am Donnerstag war er nie ein Antisemit. Was denn nun?

Er bereue zutiefst, falls er „durch das Pamphlet Gefühle verletzt habe“, sagte er am Donnerstag. Immer diese verletzten Gefühle, wenn Juden und Antisemitismus im Spiel sind. Scheiß auf Gefühle! Antworten ist Aiwanger der Öffentlichkeit schuldig, Aufklärung wollen wir! Die blieb aber aus.

Die Nicht-Entschuldigung

Stattdessen folgte seine bekannte Opfererzählung. Damals, da ließ er sich bestrafen für etwas, das sein Bruder, der Helmut, gemacht haben soll. So stellen es die Brüder dar. Und heute, da bewerfen den Hubert Aiwanger alle mit Schmutz deshalb. Eine Kampagne! Astreine Aiwangersche Vergangenheitsbewältigung.

Und so formulierte dieser Politiker aus Leidenschaft bereits am Mittwoch trotzig auf X, was er tatsächlich über die Vorwürfe gegen ihn denkt: „#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger“. Wem er damit drohen wollte? Den „unnormalen“ Menschen vielleicht? Von denen sprach er ja bei seiner Rede in Erding. Und rief die „schweigende Mehrheit“ dazu auf, sich die Demokratie zurückzuholen.

Gut, soll er noch eine Chance bekommen sich zu erklären: Exklusiv-Interview mit der Welt, veröffentlicht kurz nach seiner Pressekonferenz. Wenn er doch keine Schuld trägt, was ist damals passiert? Warum wurde das Pamphlet in seiner Tasche gefunden? Aiwanger: „(atmet tief durch) Fragen Sie mich bitte etwas anderes!“ Chance vertan.

Söder unter Druck

Für Ministerpräsident Markus Söder soll's jetzt ja ganz schnell gehen, der „Dreck“ soll verschwinden. Dafür fehlen nur noch Aiwangers Antworten auf den 25-Fragen-Katalog, den ihm Söder geschickt hat. An Aiwanger will der nämlich festhalten, die Landtagswahl steht schließlich kurz bevor.

Kann es sich einer, der es politisch mal noch weiter bringen will, vielleicht irgendwann bis nach Berlin, leisten, hier wahlkampftaktisch vorzugehen und nicht die konservative harte Hand als Grenze aufzuzeigen? Das wäre die eine, pragmatische und zugleich moralische Frage, die hier an Söder gerichtet sei.

Da darf jetzt aber nix mehr dazu kommen! Das sagte Söder am Dienstag zu seinem Vize Aiwanger. Und dann kam noch was, und noch was hinzu. Wie viel ist Söder denn zu viel? Wann ist für ihn die Grenze überschritten?

Aiwanger ist politisch nicht zu halten. Oder können Sie sich Aiwanger nach der Wahl bei Gedenkveranstaltungen im KZ Dachau vorstellen? Welche jüdische Institution in Bayern, welche Gemeinde, würde ihn noch einladen?

Will man Aiwanger glauben, so sind auch die Bayern, die er aktuell bei seinen Wahlkampfterminen trifft, davon überzeugt, dass eine Kampagne gegen ihn läuft. Mir läuft es da kalt den Rücken runter.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Beobachtet antidemokratische Bewegungen beim Verein democ. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber. Freie Podcasterin und Moderatorin.
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11 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""...... können Sie sich Aiwanger nach der Wahl bei Gedenkveranstaltungen im KZ Dachau vorstellen?""



    ==



    nein.

    Die Kampfstrategie der neuen radikalen Rechten besteht seit einigen Jahren darin, Schuld und Verfehlung anderen zuzuschreiben und sich selbst als Opfer zu stilisieren. Bestes Beispiel für krankhaftes Verhalten hinsichtlich der bewußten und inszenierten Unfähigkeit zur Selbstreflektion ist Donald Trump, der die Verbreitung von dumpfen Lügen damit rechtfertigt, das er seine eigene Meinung - Beispiel seine verlogene Interpretation von Wahlergebnisse - veröffentlichen dürfe. Das müsse in einer Demokratie doch wohl möglich sein.

    Hier soll weder ein denkbar schiefer Vergleich zwischen Aiwanger und Trump herbei konstruiert werden - sondern eine messerscharfe Analyse dessen, was Aiwanger derzeit treibt, ihm also den Spiegel vorhalten, ist das Gebot der der Stunde.

    Das Aiwanger es bislang verpasst hat, sich ins Lager der Anti-Faschisten hinüber zu retten, ist evident.

    Allerdings wer im Jahr 2023 unfähig ist eigene schändliche Taten offen zu legen und zu verurteilen, hat im Amt eines Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministers in einem Land der Bundesrepublik nichts zu suchen.

    Und das Aiwanger als Vize-Ministerpräsident/Wirtschaftsminister Schaden anrichtet hat auch was damit zu tun, das er gegenwärtig auf einer Rhetorik ausrutscht die Hubsi von den radikalen Neu - Rechten abgekupfert hat. Die Messlatte ist das ""Nie wieder"" - die Aiwanger jetzt schon klar gerissen hat. Anders wäre es gewesen wenn er seine ruchlosen Taten als 17jähriger in seinem heutigen Alter von 52 Jahren aufgeklärt und verurteilt hätte.

  • Frage: Welche Konsequenzen zog das Auffinden dieses Schmutzblattes 1987 nach sich? Wer war dafür verantwortlich, die Verfasser und Transporteure solch unsäglicher Schmierereien zur Verantwortung zu ziehen und gegebenenfalls von der Schule zu verweisen? Auch 1987 war Antisemitismus schon verfassungswidrig und strafrechtlich relevant. Wer also waren die Menschen, welche offensichtlich den Mantel des Schweigens über diese Taten breiteten, Aiwanger und seinen Bruder schützten?

  • Border Patrol Australia: »Meine Tante hat meinen Koffer gepackt, weiß nicht wieso da Zigaretten drin sind.«



    Hubert Aiwanger: »Mein Bruder hat das Pamphlet geschrieben, weiß nicht wieso das in meiner Schultasche drin ist.«



    Erkennen Sie die Parallelen.

  • "Mir läuft es da kalt den Rücken runter."

    Mir auch, vor allem, wenn maus sich die letzten Wahlumfragen ansieht (24.8.) CSU + FW + AfD = 37,8 + 12,5 + 15 = 65,3%.

  • Aiwangers Verhalten ist unter aller Würde. Auch wenn die Uhren in Bayern in vielerlei Hinsicht anders laufen, kann ich es mir auch nicht vorstellen, dass der Typ seinen Posten behalten kann.

    Söder ist ein harter Hund und wenn er realisiert, dass Aiwanger ihm mehr schadet, als nützt, sägt er ihn flugs ab.

    Die Erklärung für die "Kampagne" gegen ihn, erklärt sich Aiwanger im Welt-Interview übrigens so:

    "WELT: Sie haben bei „X“ geschrieben, Opfer einer Kampagne geworden zu sein. So einfach ist die Sache für Sie?

    Aiwanger: Ich bin überzeugt davon, dass die „SZ“, womöglich mit Hilfe anderer Kreise, von langer Hand geplant hatte, mich massiv zu beschädigen und politisch zu vernichten. Damit sollten die Freien Wähler geschwächt und Stimmen auf andere Parteien gesteuert werden. Konkreter: Unsere Partei sollte raus aus der Regierung – und die Grünen rein."

    Wie viele Maß muss man trinken, um so zu denken?

    • @Jim Hawkins:

      Sehr geehrter Jim Hawkins,

      Sie müssen die Sache aus der Sicht der anderen betrachten. Aiwanger muss seine Klientel berücksichtigen, die einen Kotau keinesfalls honorieren würde.

      Und Söder, für ihn besteht das Risiko das er seinen Leuten eine Koalition mit Rot oder Grün erklären müsste. In Bayern ist das praktisch undenkbar und würde nur ein vierjähriges gegenseitiges Belauern ohne politische



      Entscheidungen bedeuten.

      Wenn man das so betrachtet, ergeben die Handlungen also Sinn.

      Mit freundlichen Grüßen

      flaviussilva

      • @flaviussilva:

        Vielen Dank für ihre ausgesprochen höfliche Entgegnung. So etwas liest man hier nicht alle Tage.

        Ungeachtet aller taktischen Erwägungen, würde ich es einfach begrüßen, es gäbe weniger Aiwanger in der bayerischen und deutschen Politik.

        • @Jim Hawkins:

          Sehr geehrter Jim Hawkins,

          den Traum das es weniger Aiwangers geben sollte, den sollte man realistischer Weise beerdigen, sowas wird es immer geben, es kommt nur darauf an wie man damit umgeht.

          Darüber hinaus, gibt es schlimmeres als Aiwanger, bis auf die Erdinger Rede, über die man geteilter Meinung sein kann, ist nichts wirklich schlimmes ( aus bayerischer Sicht ) über ihn bekannt.

          Das Flugblatt entstand in den 80iger, das war damals eine andere Zeit.

          Mit freundlichen Grüßen

          flaviussilva

          • 9G
            95820 (Profil gelöscht)
            @flaviussilva:

            "den Traum das es weniger Aiwangers geben sollte, den sollte man realistischer Weise beerdigen," Wer seine Träume beerdigt, ist partiell schon selber tot.



            @AJUGA hat hier: taz.de/Aiwangers-E...bb_message_4586516



            den Schweinezyklus gut beschrieben, wie das Agieren und Regieren der Konservativen in DE (aka Union) regelmäßig ein Erstarken der Rechtsextremen zur Folge hatte. Nix Brandmauer. Nur Albträume.

          • @flaviussilva:

            Ich lebte auch in der anderen Zeit der 80er, kann mich aber nicht erinnern, daß die in dem Flugblatt durchscheinende Weltsicht außerhalb rechtsextremistischer Kreise in irgendeiner Weise salonfähig gewesen wäre.

    • @Jim Hawkins:

      Professionelle Verschwurbler schaffen das auch nüchtern.