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Antisemitismus in HamburgGewalt gegen Zuhörerin an der Uni

Eine Aktivistin schlägt einer Frau nach einer Vorlesung zu Judenfeindlichkeit ins Gesicht. Deutsch-Israelische Gesellschaft fordert Protestcamp-Räumung.

Thema der Vorlesung war der Sinn von Antisemitismusdefinitionen: Aushang für die Ringvorlesung in einem Uni-Flur Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | An der Universität Hamburg ist es am Mittwochabend nach einem Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung zu einem antisemitischen Übergriff gekommen. Bereits während des Vortrags des Basler Literaturwissenschaftlers Alfred Bodenheimer zum Thema Judenfeindlichkeit hätten mehrere Zuhörer dazwischen gerufen, teilte die Polizei mit.

Im Anschluss an die Vorlesung sei eine 56-jährige Frau aus dem Publikum mit dieser Gruppe in einen Streit geraten, in dessen Verlauf eine 26-Jährige aus der Gruppe die Ältere „unvermittelt attackierte und ihr ins Gesicht schlug“. Nach Angaben des Hamburger Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel waren die Besucherin und eine weitere Person zuvor auch verbal angegriffen und beleidigt worden.

Bei dem Opfer handelt es sich laut Hamburger Abendblatt um Elisabeth S., Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Hamburg. Laut Polizeibericht soll sich die Besucherin mit Tritten und Bissen gegen die Angreiferin gewehrt haben. Die herbeigerufenen Polizeibeamten hätten daraufhin die Personalien der beiden beteiligten Frauen aufgenommen und jeweils ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung eingeleitet. Auch der Staatsschutz nahm die Ermittlungen auf.

Während die 56-Jährige ihre Gesichtsverletzungen vor Ort von einem Rettungswagenteam behandeln ließ und sich später in eine Notaufnahme begab, verzichtete die jüngere Frau laut Polizei auf eine ärztliche Behandlung ihrer Verletzungen.

Eine Reihe von Taten seit dem 7. Oktober

Der Vortrag „Sinn und Unsinn von Antisemitismusdefinitionen“ im Ostflügel des Universitätshauptgebäudes war der vierte von insgesamt zehn Veranstaltungen der Ringvorlesung „Judenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antizionismus – aktualisierte Formen antijüdischer Gewalt“. Judenfeindlichkeit sei wieder aktuell, heißt es in der Ankündigung. In Europa und den USA zeige sich eine neue Form, die sich als postkolonial verstehe und ohne historisches Wissen auskomme.

Für den Hamburger Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel reiht sich der Vorfall in „eine Reihe von Taten ein, die wir seit dem 7. Oktober in Hamburg erleben mussten“. Zuletzt sei eine Gruppe von Exil-Iranern direkt vor dem Rathaus angegriffen worden. Ähnlich wie bei den jüngsten Angriffen auf Politiker würden neben Juden zunehmend auch Menschen Opfer von Übergriffen, die sich mit Israel solidarisierten und „der Welle des Hasses entgegentreten“.

Dabei komme es zu Körperverletzungen und anderen schweren Übergriffen aus dem Umfeld von Islamisten und „sogenannten propalästinensichen Gruppen.“ Es sei nicht nachvollziehbar, wie mit Protestcamps, Übergriffen und Gewalt den Menschen im Gazastreifen geholfen werden könne. Er verstehe nicht, wie mit Protestcamps, Übergriffen und Gewalt den Menschen im Gazastreifen geholfen werden soll.

Forderung nach Camp-Räumung

Hamburgs Uni-Hamburg-Präsident Hauke Heekeren zeigte sich nach dem Vorfall erschüttert. Er sei „absolut inakzeptabel und abscheulich“, sagte er. „Hochschulen müssen Orte sein, an denen jüdische Studierende, Mitarbeitende und Gäste ohne Wenn und Aber sicher sind“. Auch die Grüne Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank verurteilte den Angriff auf die Besucherin, dieser müsse durch die Sicherheitsbehörden „lückenlos aufgeklärt“ werden.

Der Vorsitzende der DIG-Hamburg, Daniel Killy, sagte dem Abendblatt: „Der Angriff auf unser Vorstandsmitglied Elisabeth S. erschüttert uns zutiefst. Er ist ein alarmierendes Zeichen dafür, dass ein Dialog mit Radikalen jeglicher Couleur nichts bringt“. Unabhängig davon, ob der Antisemitismus von links oder rechts komme oder in islamistischen Motiven gründe, seien „Judikative und Exekutive“ gefordert.

Killy fordert, neben der strafrechtlichen Verfolgung der Täterin sei es „das Mindeste, das Israel-Hass-Camp auf der Moorweide unverzüglich zu räumen“. Gemeint ist das Protestcamp „Finger weg von Rafah!“das nur aus einem Zelt auf einer Wiese wenige hundert Meter vom Uni-Hauptgebäude entfernt besteht. Stefan Hensel ist da zurückhaltender. „Wenn die Täterin an diesem Camp teilgenommen hätte, wäre das ein klares Zeichen, dass die Gewalt von diesem Camp ausgeht. Dann müsste es geräumt werden.

Protestcamp vorerst bis Montag genehmigt

Zwei Mitstreiter des erst am Montag dieser Woche errichteten Camps, über das die taz berichtete, erklärten, es sei eine spontane Reaktion auf die Evakuierung von Rafah, dem letzten Rückzugsort für Zivilisten in Gaza. Man wolle die deutsche Gesellschaft auf das Leid dort aufmerksam machen. Außerdem richte sich der Protest gegen die Universität Hamburg, die in den letzten Monaten sehr repressiv gegen propalästinensische Studierende vorgegangen sei und ihnen alle Räume entzogen habe.

Mit Blick auf die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit bestehe derzeit keine Handhabe, das Camp zu verbieten, heißt es aus Behördenkreisen. Die Versammlung auf der Moorweide, die den Charakter einer Mahnwache haben soll, sei von der anmeldenden Privatperson zunächst bis Montag, 13. Mai, verlängert worden, sagte Polizeisprecher Thilo Marxsen. „Die Versammlungsbehörde hat die Verlängerung bestätigt.“

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