Antisemitismus in Deutschland: Antisemiten sind immer die Anderen
„Nie wieder“ ist schnell gesagt. Doch wer Antisemitismus in seinen heutigen Ausprägungen benennt, provoziert ein altes Muster aus Abwehr.
A ls diese Woche der Novemberpogrome gedacht wurde, daran also, wie vor 83 Jahren Synagogen brannten, jüdische Geschäfte geplündert und zerstört, Jüdinnen und Juden getötet wurden und ihr Transport in Konzentrationslager begann, hieß es kollektiv: Nie wieder.
Die Erinnerung an die Shoah ist in Deutschland vergleichsweise einfach. Gedenktage, Stolpersteine putzen, andächtige Reden. Wer das Gedenken selbst gestaltet, kann sich schließlich passend inszenieren: Man schämt sich für das Vergangene und kann deshalb niemals wieder Antisemit sein. Sobald man aber diesen ritualisierten Rahmen verlässt, es um lebende Jüdinnen und Juden geht, um den Antisemitismus in seinen heutigen Ausprägungen, er aus anderen Minderheitengruppen heraus artikuliert wird, wenn die Codes des Antisemitismus nicht auf den ersten Blick erkennbar sind – dann wird es schwieriger.
Über politische Lager hinweg ist Antisemitismus attraktiv. Ein gemeinsames Feindbild hat sogar etwas verbindendes. Bei Rechtsextremen und Islamisten finden sich große Überschneidungen. Aber auch in weniger radikalen Strukturen finden sich Antisemiten: Unter Linken, in der Mitte der Gesellschaft, bei stinknormalen Menschen.
In meiner Twitter-Timeline wurden die obligatorischen „Nie wieder“-Posts nach einem Tag durch Videos abgelöst, die zeigten, wie propalästinensische Demonstrant:innen am 9. November versuchten, die israelische Botschafterin nach einer Veranstaltung an einer Londoner Universität zu attackieren. „Shame on you“ und „Free Palastine“ riefen sie. Die Stimmung war aggressiv. Auf einem Instagramprofil rief jemand dazu auf, „ihre Autofenster einzuschlagen“ und „das Gebäude zu stürmen“. Die Diplomatin musste evakuiert werden. Aus der linken Ecke las ich unzählige Relativierungen, manche befürworteten gar die Eskalation, das sei schließlich legitime „Israelkritik“.
Es ist immer schwer, über Antisemitismus zu sprechen, besonders aber dann, wenn er sich mehr implizit als explizit äußert. Benennt man das, provoziert man ein altes Muster aus Verleugnung und Abwehr.
Nachdem der WDR die Journalistin und Ärztin Nemi El-Hassan zunächst suspendiert und dann die Zusammenarbeit mit ihr beendet hatte, weil Recherchen ihre Teilnahme am antisemitischen Al-Quds-Marsch 2014 sowie das Liken und Teilen problematischer Posts enthüllt hatten, äußerte sich El-Hassan in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung.
El-Hassan argumentiert, wie auch zahlreiche ihrer Unterstützer:innen, die Vorwürfe gegen sie seien nichts weiter als eine rassistische Kampagne. Das ist eine altbekannte Trumpfkarte, die gerne gespielt wird, um Antisemitismusvorwürfe zu entkräften. Qua Geburt werde El-Hassan im Land der Täter zur Antisemitin gemacht, schreibt sie.
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Es stimmt: El-Hassan wurde von Rassisten und Rechten attackiert. Das muss vehement verurteilt werden. Dass aber auch Liberale, Linke oder Konservative sie kritisierten, und zwar nicht für das, was sie ist, sondern für das, was sie getan hat, blendet El-Hassan bewusst aus. Immer Opfer, nie aber Täter. So einfach kann man es sich natürlich machen.
Erschreckend ist auch, wie El-Hassan ihre Position rechtfertigt: nämlich mit ihren palästinensischen Wurzeln. Dabei sollte klar sein, dass Sozialisation kein Persilschein ist. Der familiäre Hintergrund darf nicht als Ausrede fungieren und schon gar nicht antisemitische Haltungen entschuldigen.
Antisemiten sind immer die anderen. Das macht es schwer, über Antisemitismus zu sprechen. Die eigene Position und Vorurteile, vererbte Ansichten, das eigene Milieu, sich selbst also kritisch zu reflektieren, ist hingegen mühselig. Ein „Nie wieder“ geht da einfacher über die Lippen.
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