Antisemitismus-Vorwurf: Friedenspreis stiftet Unfrieden
Dem Journalisten Ruslan Kotsaba soll der Aachener Friedenspreis aberkannt werden, da er sich antisemitisch geäußert hat. Er entschuldigt sich.
Auch der Aachener Linken-Abgeordnete Andrej Hunko, der Kotsaba für den Aachener Friedenspreis vorgeschlagen hatte, hält dessen Äußerung von 2011 für „völlig inakzeptabel“. Hunko selbst hat nach einem Aufenthalt in der „Volksrepublik Donezk“, die er unter Verletzung der ukrainischen Gesetzgebung 2015 von russischem Territorium aus besucht und sich dort mit dem damaligen Separatistenführer Alexander Sachartschenko getroffen hatte, ein Einreiseverbot für die Ukraine.
„Das skandalöse Video war uns vorab nicht bekannt“, sagte Hunko der taz telefonisch. „Aber dass Kotsaba früher Nationalist war, wussten wir. Ich finde ja gerade seinen Werdegang vom Nationalisten zum Pazifisten bemerkenswert.“
Ruslan Kotsaba bestätigte die Authentizität des Videos von 2011 und äußerte sein „tiefes Bedauern“. „Für diese Äußerungen“, so Kotsaba zur taz, „möchte ich mich entschuldigen.“
Wegen eines YouTube-Videos, in dem er zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen hatte, war Kotsaba am 8. Februar 2015 festgenommen und im Mai 2016 zu einer dreieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein Gericht in einer höheren Instanz sprach ihn jedoch im Juli 2016, nach 524 Tagen Haft, frei.
Es sei ein weiter Weg zum Pazifisten gewesen, so Kotsaba. Er habe als Nationalist angefangen, sei dann Aktivist geworden. Kotsaba beteiligte sich an zahlreichen Protestbewegungen, war bei den Aktionen auf dem Maidan 2004 (Orange Revolution) und 2014 in Kiew mit dabei. Mehrere Monate leitete er das Freiheitskampf-Stepan Bandera-Museum im westukrainischen Iwano-Frankiwsk. Stepan Bandera, der während des Zweiten Weltkrieges zeitweise mit der Wehrmacht kooperiert hatte, gilt in der Ukraine als Leitfigur der Rechtsradikalen.
Noch mehr Gründe gegen Auszeichnung
Ein Schlüsselerlebnis sei für ihn als Reporter sein Besuch in Luhansk im Sommer 2014 gewesen. „Gemeinsam mit Menschen aus Luhansk habe ich im Keller vor den Luftangriffen gezittert. Und da habe ich mich entschieden, dass ich niemals auf die Menschen, mit denen ich jetzt in einem Keller sitze, schießen werde.“
Halya Coynash von der „Menschenrechtsgruppe Charkiw“ lehnt die Preisverleihung nicht nur wegen der skandalösen antisemitischen Äußerungen ab. Coynash missfällt, dass Kotsaba den Krieg im Osten des Landes als Bürgerkrieg bezeichnet sowie die aktive Rolle Russlands und von russischen Staatsbürgern geleugnet hatte.
Gegenüber der taz gab Kotsaba zu, dass er nach seinen Aufenthalten in Luhansk und Donezk im Sommer 2014 tatsächlich gesagt habe, dort keine russischen Militärs gesehen zu haben. Vom heutigen Kenntnisstand her sei diese Aussage nicht mehr haltbar, so Kotsaba. „In Donezk und Luhansk sind derzeit eine Menge russischer Militärs“.
Kotsaba sieht sich wegen seiner eigenen Festnahme in einer Tradition mit seiner Großmutter. Diese saß als „Volksfeindin“ mehrere Jahre in einem Arbeitslager in der Nähe von Archangelsk ein. 1954 freigelassen starb sie wenige Wochen später, 31-jährig, an Tuberkulose. „Auch aus mir versucht man einen Volksfeind zu machen.“
„Die Entscheidung, Kotsaba den Preis zu verleihen, war eine Entscheidung der Mitgliederversammlung, die mit einer Zweidrittelmehrheit gefällt werden musste. Nun hat sich der Vorstand des Aachener Friedenspreises von der Entscheidung der Mitgliederversammlung distanziert. Doch solange nicht eine neue Mitgliederversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit diese Entscheidung kippt, gilt Kotsaba weiter als nominiert“, so Andrej Hunko zur taz.
Ob der Vereinsvorstand wirklich bei einer für den 14. Juni anberaumten außerordentlichen Mitgliederversammlung um eine Zweidrittelmehrheit kämpfen muss, erscheint indes fraglich. Kampfabstimmungen verschlechtern in der Regel das Vereinsklima. Und so scheint man jetzt schon hinter den Kulissen an einer Lösung zu arbeiten, die allen Seiten erlaubt, ihr Gesicht zu wahren.
Wichtiger als die Mitgliederversammlung im Juni dürfte für Kotsaba eine Gerichtsverhandlung im Juli sein. Dort soll erneut entschieden werden, ob sein Video von 2015 eine strafrechtlich zu ahndende Tat ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“