Antisemitismus-Beschluss der Linkspartei: "Gysi hat uns erpresst"
Parteilinke sind empört über das Vorgehen von Fraktionschef Gregor Gysi beim Antisemitismus-Beschluss. Er habe indirekt mit seinem Rücktritt gedroht.
In der Linkspartei ist erneut ein innerparteilicher Kampf entbrannt. Der linke Flüge der Partei wirft Fraktionschef Gregor Gysi vor, sie beim so genannten Antisemitismus-Beschluss der Fraktion erpresst und brüskiert zu haben.
"Andersdenkende sollten eingeschüchtert, stigmatisiert und letztlich aus der Fraktion gedrängt werden", sagte der Bundestagsabgeordnete Harald Koch der taz. Das sei einer linken Partei unwürdig. Es sei eine "Tabugrenze im innerparteilichen Umgang überschritten worden."
Hintergrund der Kritik ist der Fraktionsbeschluss vom Dienstag, mit dem sich die Linkspartei vom Antisemitismus distanzieren will. Darin heißt es unter anderem: "Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer 'Gaza-Flottille' beteiligen. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen."
Damit sollen Mitglieder aus den eigenen Reihen diszipliniert werden, so die Kritik. Mit Inge Höger und Anette Groth haben vergangenes Jahr zwei Bundestagsabgeordnete der Linkspartei an der umstrittenen Gaza-Flottille teilgenommen, die durch das israelische Militär blutig gestoppt wurde. Zudem waren in den vergangenen Wochen immer wieder Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Partei erhoben wurden die in einer Aktuellen Stunde des Bundestags gipfelten. Mit dem Beschluss wolle Gysi nun die Gemüter besänftigen, so die Kritik.
Dutzende Parlamentarier verließen bei der Abstimmung demonstrativ den Raum
Der Fraktionschef soll während der mehrstündigen Debatte am Dienstag indirekt mit Rücktritt gedroht haben, sollte der Beschluss abgelehnt werden. Über zwanzig Abgeordnete haben in der Sitzung das Vorgehen Gysis kritisiert, den Beschluss als unterwürfig und politisch unklug bezeichnet. Vor der Abstimmung verließ über ein Dutzend den Raum. Die, die blieben, stimmten für den Beschluss. Die Parteispitze betonte anschließen die Einstimmigkeit.
"Man kann nicht hinterher von Einstimmigkeit reden, wenn zuvor etliche heftig Kritik geübt haben und demonstrativ den Raum verlassen haben", sagte seine Fraktionekollegin Ulla Jelpke. Solche "Disziplinierungsversuche" würden in einer Partei, die sich als demokratisch versteht, nicht funktionieren. Ihr Fraktionskollege Andrej Hunko sprach gar von "Erpressung" und der "Unterwerfung des linken Flügels."
Kritiker der linken Flügels werfen Gysi jetzt vor, sich seinerseits von den reformorientierten Mitgliedern der Fraktion erpressen lassen zu haben. So sollen einige in SMS an den Fraktionschef mit Spaltung gedroht haben, würde er den Antisemitismus-Beschluss nicht durchsetzen. "Dahinter steckt die Furcht, als regierungsunfähig zu gelten", sagte eine Bundestagsabgeordnete der taz. Letztlich ginge es um einen Machtkampf in der Partei. Dass dieser jetzt mit dem hochsensiblen Thema Antisemitismus ausgetragen werde, sei unverantwortlich.
"Man hätte inhaltlich diskutieren müssen, welche Aktionen vertretbar sind und das nicht per Dekret verordnen", kritisiert Kathrin Vogler. Diese inhaltliche Debatte stehe noch aus. Denn was die Partei unter Antisemitismus versteht und was nicht, sei noch unklar.
Eine solche Definition fordert auch Ulla Jelpke. Einige Vorschläge hat sie schon. Die drei in dem Beschluss genannten Punkte Einstaatenlösung, Boykott-Aufrufe und Gaza-Flottille jedenfalls sind für sie "per se nicht antisemitisch."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative