Antirassistische Verfassung: Nordosten wird Antifa-Land
Mecklenburg-Vorpommern probiert im Umgang mit Rechtsextremismus mal wieder etwas Neues aus: eine antirassistische Verfassung. Experten sind dagegen.
Die DDR hatte eine und der Norden Ostdeutschlands soll jetzt auch eine bekommen. Als erstes Bundesland will sich Mecklenburg-Vorpommern heute eine antirassistische Verfassung geben. Der Landtag in Schwerin stimmt über eine entsprechende Änderung des Textes ab. Ein Ja gilt als sicher, weil sich bereits vorher alle Fraktionen dafür ausgesprochen hatten. Alle außer der NPD.
Ganze zwei Sätze werden nach dem Willen der Parlamentsmehrheit als Artikel 18a in dieLandesverfassung eingefügt. "Alles staatliche Handeln" soll demnach künftig, dem "inneren und äußeren Frieden dienen." Außerdem soll künftig gelten: "Handlungen, die [...] insbesondere darauf gerichtet sind, rassistisches und anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig."
Die regierende Koalition aus SPD und Union will dem Antirassismus-Paragrafen ebenso zustimmen wie die Oppositionsparteien FDP und Linke. "Mit der Verfassungsänderung zeigen wir rassistischen und extremistischen Hetzern, dass sie in Mecklenburg-Vorpommern keine Heimat haben", sagt Norbert Nieszery, Chefinnenpolitiker der sozialdemokratischen Fraktion. "Engagierte Kämpfer gegen die neuen Nazis wissen jetzt noch besser, dass ihr Handeln nicht nur begrüßt und unterstützt wird, sondern ausdrücklich auf dem Boden der Verfassung steht."
Mit dieser Begeisterung sind die Schweriner Politiker allerdings ziemlich allein. Verfassungsrechtler und Rechtsextremismusexperten halten nicht allzu viel von der antifaschistischen Attacke aus dem Norden. "Diese Änderung ist starker Tobak, weil sie so unpräzise ist", sagt der Verfassungsrechtler Wolfgang Löwer von der Universität Bonn. "Sie ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht."
Löwer stört sich vor allem daran, dass der Begriff Extremismus viel zu schwammig sei, um ihn in der Verfassung anzuführen. "Wenn das beschlossen wird, dann fallen künftig ganz leicht auch Politiker der Linken darunter." Außerdem könne man niemanden aufgrund dieses neuen Textes vor Gericht als verfassungswirdrig verurteilen. "Nur die Polizei könnte mit vorbeugenden Maßnahmen dafür sorgen, den Inhalt dieser Sätze durchzusetzen", sagt Löwer, "das hieße aber auch, dass man das Werturteil darüber was extremistisch ist und was nicht, der Polizei überlässt." Es bestehe die Gefahr äußerst fragwürdiger Entscheidungen und im Extremfall auch zensurähnlicher Zustände.
Dass die neue Verfassung keine rechtlichen Folgen haben wird, glaubt auch Dierk Borstel von der Universität Greifswald. Der Politikwissenschaftler, der in Mecklenburg-Vorpommern seit einigen Jahren zu Rechtsextremismus forscht, hält den Anti-Rassismus-Abschnitt für "reine Symbolpolitik." Wer extremistisch sei, verstoße schon "per Definition gegen die Verfassung", der neue Text sei daher "vollkommen überflüssig."
Auch für die Opfer rechtsextremer Gewalt bringe die Schweriner Idee nicht allzu viel, meint zumindest die in Mecklenburg-Vorpommern arbeitende Opferberatung Lobbi. "Es ändert sich für die Betroffenen nichts, soweit wir das erkennen können", sagt Lobbi-Sprecher Kay Bolick. Er kritisiert, dass der neue Verfassungstext einer langfristigen Strategie gegen rechtsextremistische Einstellungen eher schadet: "Wer grundlegend etwas gegen Rechtsextremismus tun will, muss eine demokratischer organisierte Gesellschaft fördern", sagt Bolick. Vorstöße wie diese Verfassungsänderung setzten aber auf das Bild des starken Staates und mehr Repression. "Sie erreichen damit auf lange Sicht genau das Gegenteil dessen, wofür sie gedacht sind."
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