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Antiklischee Trotz Belästigungen und Sicherheitsrisiken trainieren junge Frauen in Kabul Wushu, eine mit Kung-Fu verwandte KampfsportartWeiß wie Schnee.Pink wie helles Blut

von Mohammad Ismail (Fotos) und Waltraud Schwab (Text)

Eine Gruppe junger Frauen, die meisten in pinkfarbenen Anzügen, steigt auf einen der Berge im Westen Kabuls; sie stapfen durch Schnee, der karge, braune Boden schimmert mancherorts durch. Oben angekommen, trainieren sie Wushu, eine Kampfsportart, entstanden aus traditionellen chinesischen Kampfkünsten, verschmolzen mit Akrobatik, Dynamik und Körperbeherrschung. Die Teenager strecken sich, dehnen sich, dominieren den Raum um sich, lernen, Gegnerinnen abzuwehren, und zerschneiden die Luft mit glänzenden Schwertern.

Für die jungen Afghaninnen ist der Kampfsport nicht nur ein Zeitvertreib. Vielmehr ist er Ausdruck von Schönheit, Ästhetik und ein durch die Körper der jungen Frauen zum Ausdruck gebrachtes Selbstbewusstsein.

Vor allem aber ist er ein Antiklischee. Denn in der westlichen Wahrnehmung hat sich dieses Bild von afghanischen Frauen, die sich eine eigene körperbezogene Expressivität nicht erlauben können in diesem kriegsgeplagten Land, wo patriarchale Strukturen zementiert zu sein scheinen, verfestigt.

Die jungen Frauen des Shaolin-Wushu-Clubs kratzen an dieser Vorstellung. Nicht nur, indem sie Kampfsport trainieren und so Herrschaft und Unterwerfung spiegeln, sondern auch dadurch, wie sie sich zeigen: Die pinkfarbenen Anzüge, die so sehr in die karge, schneebedeckte Landschaft passen, haben sie selbst entworfen und schneidern lassen. Weiß wie Schnee. Braun wie Erde. Pink wie Selbstvergewisserung, Frauensolidarität, helles Blut, Mut.

Alle jungen Frauen des Wushu-Clubs gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara – einer Persisch sprechenden Minderheit in Afghanistan. Unter der Herrschaft der Taliban waren die Hazara verstärkt Repressionen ausgesetzt. Traditionell indes haben Frauen bei den Hazara mehr Freiheiten als bei anderen Volksgruppen Afghanistans.

Die zwanzigjährige Sima Azimi hat den Club vor einem Jahr ins Leben gerufen. Ihr Vater unterstützt sie, obwohl es immer wieder Warnungen, Sicherheitsbedenken und Belästigungen gibt. Der Vater hofft, dass auch Mädchen anderer ethnischer Gruppen sich inspirieren lassen und zum Training kommen. Denn Selbstverteidigung und Selbstbewusstsein stärkten sich gegenseitig.

Trainieren die Mädchen nicht auf dem Berg, können sie ein Studio nutzen, das ihnen ein junger Kinoschauspieler finanziert. Mitunter können sie allerdings nicht zum Training, wenn die Sicherheitslage prekär ist. Es gebe viele Leute, die sie belästigten, sagt eines der Mädchen, „aber wir ignorieren sie und folgen unseren Zielen.“

Sima Azimi hat Wushu im Iran gelernt und war dort in Wettkämpfen erfolgreich. Wushu sei für die Körperbeherrschung gut, aber auch für die Psyche und die persönliche Entfaltung. Azimi möchte so gern, dass sich die Mädchen in Afghanistan genauso selbstbestimmt entwickeln können wie Frauen in anderen Teilen der Welt. Und sie hofft, dass ihre Schülerinnen an internationalen Wettkämpfen teilnehmen und Medaillen für Afghanistan gewinnen. Die große Idee: Durch Frauen, die in Wettkämpfen für das Land Erfolg haben, sollen Vorurteile gegenüber Frauen in der Gesellschaft abgebaut werden.

Sport sei Frauen in Afghanistan nicht selbstverständlich zugänglich, der Shaolin-Wushu-Club gilt als Ausnahme. Mohammad Ismail, der Fotograf der Agentur Reuters, der die jungen Frauen fotografierte, hat allerdings weitere Fotoserien aufgenommen, die zeigen, dass sich Dinge in Afghanistan bewegen. Er fotografierte Frauen eines Radsportvereins, fotografierte Frauen beim afghanischen Militär und auch Frauen, die als Chauffeurinnen in Kabul arbeiten. Er zeigt Frauen stark – aus Liebe zum Land.

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