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AntikatastrophenfilmIm Wageninnern wird es dicht

Drei Männer und ein Auto - Antonin Svobodas Film "Immer nie am Meer" mit dem den Satirikern Stermann und Grissemann ist großartig.

Scheitern. Einen ganzen Spielfim lang. Bild: Arsenal

Wie sieht ein Antikatastrophenfilm aus, und dazu noch einer mit Witz? In Österreich weiß man das. Die Katastrophe ist da, die drei Männer im Auto wissen, was zu tun ist: gar nicht ignorieren. Der Mercedes kam von der Straße ab, ein bisschen den Berg runter, schon steckt er zwischen Bäumen fest, die Türen lassen sich nicht öffnen, das Dach auch nicht, die Scheiben lassen sich nicht einschlagen, alles schusssicher, gepanzert, Exdienstwagen von Bundespräsident Waldheim. Wo pisst man rein? Den Prosecco vorher austrinken. Sich unterhalten, sich streiten, ein bisschen weinen, aufgedreht lachen, dösen, neuer Alltag, was geschieht, geschieht, und wenns das Ende ist. Es kommt eh niemand, den Wagen zu finden. Wer das akzeptiert, hat ausgesorgt.

Wer den Fatalisten bei ihrem Treiben zusieht, gibt nach einem Weilchen jedwede Erwartung (Hilfe! Naht Rettung?) auf und hält sich am Moment fest, dem äußerst unterhaltsamen Arrangement. Unsere Männer sind die Glaubwürdigkeit in Person. So kann nur spielen, wer er selbst ist. Wer Drehbuch und Dialoge gar selbst geschrieben hat, und sie sind von unseren Darstellern selbst geschrieben. Der phlegmatische Dirk Stermann und der cholerische Christoph Grissemann sind zumindest in Österreich von der Bühne und vom Schirm her ein präsentes Paar (ORF sowie Kabarett und Buch "Willkommen in der Ohrfeigenanstalt"), und der Dritte, Heinz Strunk alias Mathias Halfpape, hat seinen Namen als Musiker und Komponist (Blumfeld), als Personality bei Radio Fritz und bei Viva, als Soloshowstar ("Penisverletzungen durch Masturbation mit dem Staubsauger") und als Buchautor mit Viertelmillion-Auflage ("Fleisch ist mein Gemüse").

Wenn man diese Verdienste aufzählt, kommt es umso besser, die drei jetzt in diesem Film zu sehen, wo sie immer nie am Meer gewesen waren und sonst wie scheitern und nix gebacken kriegen. Regisseur Antonin Svoboda, einer der Gründer der Wiener COOP-99-Produktion (zusammen mit Barbara Albert und Jessica Hausner) hat einen Film gedreht, von dem man nur hoffen kann, dass er Schule macht. Die neue Wiener Schule. Es macht mir Spaß, mir das vorzustellen. Gedreht (fast alles) auf engstem Raum (im eingequetschtem Waldheimauto), zu sehen kriegt man im Wesentlichen Köpfe, und doch wirkt nichts minimalistisch, reduziert, entemotionalisiert. Ganz im Gegenteil. Die Temperamente, ihrerseits im Wagen zusammengequetscht, erhöhen die Temperatur, Authentizität und Selbstironie verschmelzen, im Wageninnern wird es dicht. Schon mangels hygienischer Grundversorgung ist "Immer nie am Meer" alles andere als steril.

Wir hier in Berlin brauchen das Wiener Pendant. - So, nachdem das gesagt ist, der Clou. Man kann auf die drei Lebewesen im Wagen auch einen ganz anderen Blick haben. Ein Zwölfjähriger hat ihn. Den Forscherblick. Ratten im Käfig, Stressexperimente, Versuchsprotokolle. Hat er grade in der Schule gelernt. Eigentlich ein netter, aufgeweckter Junge. Aber er hat die kalten Augen der Hanekefilme. Er sieht keine Menschen, wohl aber humanbiologisches Versuchsmaterial. Toni (Philip Bialkowski) ist der geborene Stressexperimentator. Um die Probanden, die Rattenmenschen, nichts als Leere. Dass Gefühle abwesend sind, ist fachgerecht und genügt der Versuchsanordnung. Unsere drei Nicht-Helden mit ein paar Bröckchen zu füttern, dient ausschließlich der Verhaltensforschung.

Ein grandioser Einfall des Films, die finale Katastrophe im Blick eines schlauen Schülers zu finden, dem niemand gesagt oder gezeigt hat, was es heißt, Menschen wahrzunehmen, geschweige ihnen zu helfen. Mir liefen die kalten Gräsen den Rücken runter.

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