Anti-Nazi-Demo in Dresden: Die rechte Kapitulation
Die Nazis wollten sich in Dresden inszenieren. Doch couragierte Menschen machten ihnen einen Strich durch die Rechnung – die Neonazis schmollen jetzt.
DRESDEN taz | Am Ende bricht sich der Frust Bahn. "Wir wollen marschieren, wir wollen marschieren", hallt es über den Vorplatz des Bahnhofs Neustadt. Skandiert von rund 5.000, fast durchweg schwarz gekleideten Neonazis, eingekesselt hintern Gittern und Polizei. "Die Straße frei der deutschen Jugend." Gruppen junger Kameradschaftler drängen gegen die Absperrgitter. Plötzlich fliegen Böller, Plastikflaschen und Eisbrocken auf Polizisten.
Es sind die eigenen Neonazi-Ordner, die ihre Kameraden zurückdrängen. Auf der Bühne aber wird weitergepeitscht. "Es ist faschistisch, was uns dieser Staat und seine Polizeiarmee heute bieten", krakeelt ein Redner von einem mit Deutschlandfahnen behängten Lkw-Anhänger. "Das werden wir nicht vergessen und wir werden wiederkommen."
Nüchtern lässt die Polizei ihren Lautsprecher dagegenschallen: "Aufgrund der Sicherheitslage können wir Ihren Aufzug weiterhin nicht durchführen. Bitte verbleiben Sie auf dem Platz." Eine halbe Stunde später, um 17 Uhr - länger wurde ihnen ihr Aufzug im Vorfeld nicht genehmigt -, ziehen die Rechtsextremen wieder zurück in den Bahnhof Neustadt und nach Hause. Ohne marschiert zu sein.
Auf der Rückreise von Dresden haben Rechtsextremisten am Samstagabend in Pirna und im thüringischen Gera randaliert. In Gera stiegen 183 Neonazis aus fünf Bussen aus, überrannten die anwesenden Polizisten und skandierten rechte Parolen. Ein Beamter wurde leicht verletzt.
Alle 183 Personen aus Thüringen und Hessen wurden zur Feststellung der Personalien vorläufig festgenommen. Gegen sie wurde Anzeige wegen Landfriedensbruchs erstattet. Anschließend konnten sie ihre Fahrt von der Polizei begleitet fortsetzen.
In Pirna bei Dresden formierten sich laut Polizeiangaben am frühen Abend etwa 400 Neonazis zu einer spontanen Kundgebung. An einem SPD-Bürgerbüro wurden von den Rechtsextremisten Scheiben eingeworfen, zudem gab es weitere Sachbeschädigungen. Menschen wurden aber nicht verletzt, wie ein Polizeisprecher mitteilte. (apn)
Es ist eine doppelte Niederlage, die die Neonazis an diesem Samstag in Dresden kassieren. Seit zwölf Jahren trommelt die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) am Gedenktag der Bombardierung Dresdens die rechtsextreme Szene zu einem "Trauermarsch" in der Stadt zusammen.
Doch an diesem Samstag verhindern über 10.000 Straßenblockierer den Aufzug der Geschichtsverdreher. Und in der Dresdner Altstadt schaffen es ebenso viele Bürger mit einer Menschenkette, die Neonazis zahlenmäßig weit zu übertrumpfen. Aus dem einstigen rechtsextremen Dresden-Großaufmarsch wird an diesem Tag eine deftige Niederlage.
Bereits um neun Uhr morgens tauchen die ersten linken Gegenprotestler in der Dresdner Neustadt auf. Wenig später befinden sich Sitzblockaden in allen Straßen um den Bahnhof. Abgeordnete der Linkspartei aus Sachsen, Thüringen und Hessen melden auf der Hansastraße hinter dem Bahnhof spontan eine öffentliche Fraktionssitzung an. "Jetzt diskutieren wir erst mal die Geschäftsordnung", schmunzelt Hessens Linke-Fraktionschef Willi von Ooyen. "Das kann dauern."
Noch bevor der Neonazi-Tross eintrifft, winkt ein bayrischer Polizei-Einsatzleiter ab: "Wenn das hier friedlich bleibt, können wir die nicht mehr alle räumen. Dann kommen die Rechtsextremen nicht weg." Es bleibt friedlich.
Familien, Rentner, Autonome applaudieren Liedermacher Konstantin Wecker, als der singt: "Es geht ums tun, nicht ums siegen." "Ich glaube, heute können wir ein wirksames Zeichen setzen", hoffen ein 69-jähriger Dresdner und seine Frau.
Auf der anderen Seite der Elbe steht Dresdens CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz am Mittag vor ihrem Rathaus und zeigt sich baff. "Sie sehen mich überwältigt über diese Resonanz." Vor Orosz stehen über 15.000 Dresdner auf dem Rathausplatz. Fast jeder trägt eine weiße Rose am Revers, das verabredete Gedenkzeichen an diesem Tag. Links spielt der Posaunenchor. "Dieser Tag wird für immer ein Gedenken bleiben, an den schrecklichsten Tag Dresdens", sagt Orosz. "Aber auch daran, wer diesen verdammten Krieg losgetreten hat." Als sich die Dresdner nach Orosz Rede zu einer Menschenkette formieren, schlängelt sich diese einmal komplett um die Altstadt, vorbei an Synagoge und Frauenkirche, in doppelten Reihen am Elbufer entlang. Auf dem Altmarkt steht Orosz Hand in Hand mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), vier Politiker weiter Linke-Vorstand Petra Pau. Noch vor einem Jahr hatte sich die CDU gesträubt, mit der Linkspartei an dem Gedenktag zusammenzuwirken. Heute spricht Orosz von einer "gemeinsamen Festung Dresden gegen Intoleranz und Dummheit".
Grüppchenweise trudeln Rechtsextreme aus den Zügen am Bahnhof Neustadt. Die NPD und ihre Bundes- und Landesspitzen sind da. Auch DVU-Chef Mathias Faust. Kameradschaftler, autonome Nationalisten. Eine schwedische Neonazi-Delegation entrollt ihre Fahnen.
Aus Lautsprechern tönen keltische Filmmusik und Wagner-Sinfonien. Dazwischen beklagt der Bundeschef der Jungnationalen "die deutschen Opfer des alliierten Bombenterrors", fordert ein "anderes Deutschland ohne undeutsche Deutsche". Gleich neben dem Bahnhofseingang, gegenüber einer Stele zur Erinnerung an die Deportation von 130.000 Dresdner Juden im Zweiten Weltkrieg, bauen die Neonazis ihren Bratwurststand auf. Dann heißt es für sie warten.
Beinah ohne Polizeibegleitung marschieren plötzlich über 1.000 Neonazis von ihren Bussen aus dem Norden der Stadt zum Bahnhof. Als sie auf eine Gruppe Blockierer treffen, kommt es zu einer kurzen Schlägerei. Ein paar Straßen weiter zünden Autonome Müllcontainer an, werfen einen Kleinwagen um. Bereits am Vormittag hatten rund 100 Protestler kurzzeitig die Gleise zum Bahnhof Neustadt besetzt.
Als "teils unübersichtlich" wird Polizeipräsident Dieter Hanitsch den Einsatz seiner 5.693 eingesetzten Beamten später bezeichnen. "Das hat uns viel Kraft gekostet." 27 Verletzte und 29 Festnahmen zählt die Polizei am Tagesende. Als die Rechtsextremen in den Zügen verschwinden, macht ein junges Neonazi-Pärchen noch ein Erinnerungsfoto vor dem Bahnhofs-Drogeriemarkt. Daneben schreien Kameradschaftler: "Nationaler Sozialismus, jetzt, jetzt, jetzt". Keine Vorkommnisse beim Abzug der Rechtsextremen, meldet die Polizei.
Auf dem Albertplatz herrscht ausgelassene Stimmung. Die Sambaband spielt noch. "Würde man nicht denken, dass wir gerade acht Stunden bei der Kälte auf einem Fleck gesessen haben", strahlt Hans Coppi, Historiker und Landeschef des Berliner Bundes der Antifaschisten. "Wo die Politik in den vergangenen Jahren versagt hat, ist die Zivilgesellschaft heute eingesprungen."
Bereits seit Monaten hatte das Bündnis Dresden Nazifrei zu "gewaltfreien, aber entschlossenen" Sitzblockaden in die sächsische Landeshauptstadt mobilisiert. Über 120 Busse erreichten am Samstag schließlich die Stadt, allein aus Berlin kamen 36. Den letzten Mobilisierungsschub gab die Dresdner Staatsanwaltschaft: Wegen des "Aufrufs zu Straftaten" ordnete sie Beschlagnahmungen und Durchsuchungen gegen das Bündnis an. "Das gab uns noch mal einen ,Jetzt erst Recht'-Auftrieb", bekennt ein Sprecher.
Lena Roth von Dresden Nazifrei wertet die Proteste als "großen Erfolg". Es sei die Vielfalt und Entschlossenheit der Blockaden gewesen, die den Neonazi-Aufmarsch verhindert hätten. Auch der Berliner Grüne Christian Ströbele lobt die Blockaden: Nur so sei es gelungen, erstmalig die Neonazis zu stoppen.
Den Rechtsextremen bleibt dagegen eine Niederlage, die nachwirken wird. Nach Wunsiedel und Halbe droht die Szene nun auch ihren letzten Großaufmarsch zu verlieren. Längst stehen rechtsextremen Massenveranstaltungen nicht mehr nur symbolische Aktionen, sondern aktives Verhindern entgegen. Bereits 2008 hatten in Köln breite Protest- und Blockadeaktionen einen großspurig angekündigten rechtsextremen "Anti-Islam-Gipfel" verhindert.
Entsprechend gefrustet zeigte sich die Szene nach dem verhinderten Dresden-Aufmarsch. Gegen die "Schikanen" gegen den Aufzug werde man juristisch vorgehen, kündigt JLO-Chef Kai Pfürstinger am Sonntag der taz an. Zwar werde Dresden als Aufmarschort nicht in Frage gestellt. "Es wird nächstes Jahr aber ein geändertes Vorgehen geben", so Pfürstinger. Noch bis 2015 hat die JLO ihre "Trauermärsche" in Dresden angemeldet. Auch Sachsens NPD-Chef Holger Apfel kündigte "künftig neue Formen des Vorgehens" an. Und echauffierte sich dann über das Polizeivorgehen und "das Gegeifer der CDU-Bürgermeisterin".
Am Samstagabend sind es schließlich hunderte Dresdner, vor allem Ältere, die sich mit weißen Kerzen vor der Frauenkirche versammeln. Der Kammerchor singt, es ist dunkel und ruhig geworden. Nur in der Ferne brummt ein Polizeihelikopter. Für viele Dresdner beginnt erst jetzt ihr eigentliches Gedenken an die Opfer der Bombardierung ihrer Stadt vor 65 Jahren am Ende des Zweiten Weltkrieges, bei der bis zu 25.000 Einwohner starben. "Dresden hat heute ein starkes Zeichen gegen Intoleranz gesetzt", sagt Bürgermeisterin Orosz.
Sie meint die Bürger aus der Menschenkette. Den Aufmarsch tausender Neonazis haben aber andere verhindert. Die Straßenblockierer, drüben auf der anderen Elbseite. Erstmalig nach zwölf Jahren.
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