Anti-Atom-Aktivist über Widerstand: „Es ging gemeinsam ums Ganze“
Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg machte Gorleben zum Synonym für den Kampf gegen Atomkraft. Wolfgang Ehmke kennt diese 50 Jahre Widerstand.
wochentaz: Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, kurz die „BI“, kämpft seit 50 Jahren gegen Atomanlagen in Gorleben und anderswo. Sie sind von Beginn an dabei gewesen …
Wolfgang Ehmke: Halt! Das stimmt nicht ganz. Ich bin erst 1977 voll eingestiegen.
Der Mensch
Wolfgang Ehmke, Jahrgang 1947, ist langjähriger Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und hat zum Thema auch Bücher veröffentlicht, zuletzt „Das Wunder von Gorleben“. Er wuchs im Wendland auf, arbeitete als Lehrer an einer Hamburger Berufsschule und an der deutschen Botschaft in Ankara/Türkei. Er unterrichtet in Lüchow Deutsch als Zweitsprache in Integrationskursen.
Aber Sie können uns etwas über die Anfänge erzählen?
Die BI gab es zunächst nur als lockeren Zusammenschluss, noch nicht als eingetragenen Verein. Anfang 1974 hatten sich ungefähr 30 Menschen zusammengefunden, weil bei uns im Landkreis, in Langendorf an der Elbe, ein AKW gebaut werden sollte. Damals sollte entlang der Elbe eine ganze Perlenkette von Atomkraftwerken entstehen, vor allem an der Unterelbe. Von dem anderen Elbdorf, also Gorleben, war damals noch keine Rede.
Was waren das denn für Leute, die sich da gegen das AKW engagierten?
Das war im Grunde eine bunte Mischung, wie sie dann auch später die BI insgesamt prägte. Marianne Fritzen, unsere spätere BI-Vorsitzende, war schon dabei. Ihr Mann Joachim, der mein Musiklehrer gewesen war. Hausfrauen, Bäuerinnen und Bauern, Fischer und Naturschützer. Auch Schriftsteller und Künstler, etwa Nicolas Born, Uwe Bremer und Kai Hermann, der für den Spiegel und den Stern schrieb und mit dem ich bis heute in Kontakt bin.
Die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg entstand im Januar 1974. Nach der Standortbenennung von Gorleben im Februar 1977 wurde die BI als Verein eingetragen. Sie hat aktuell 1.055 Mitglieder. Das Büro befindet sich in der Kreisstadt Lüchow. Die BI gibt die kostenlose Zeitschrift Gorleben Rundschau heraus. und findet sich im Netz unter www.bi-luechow-dannenberg.de.
Das AKW Langendorf wurde nie gebaut. Wie konnten die paar Leute das erreichen? Straßenblockaden und Treckerdemos gab es ja noch nicht.
Dieser Kreis hatte von den AKW-Plänen Wind bekommen, obwohl die Behörden ein Versteckspiel betrieben. Auf der Tagesordnung des Samtgemeinderates Dannenberg stand beispielsweise nur die Änderung des Flächennutzungsplans, von Atomkraft war keine Rede. Die frühen BI-Mitglieder hatten sich aber schlau gemacht, sind zu den Ratssitzungen gegangen, haben Unterschriften gesammelt und Zeitungsanzeigen geschaltet. Das hatte damals einen durchschlagenden Effekt. Der Samtgemeinderat hat das Thema nie wieder aufgerufen. Zudem hatte die Preußen Elektra, der Kraftwerksbauer, große Probleme, von den Landwirten Flächen für die Hochspannungsleitungen zu kriegen. Der erste Versuch, im Landkreis Lüchow-Dannenberg eine atomare Anlage zu errichten, ist dann im Sande verlaufen.
Wie sind Sie zur Anti-AKW-Bewegung und zur BI gestoßen?
Ich war im Herbst 1976 eher zufällig bei der ersten Brokdorf-Demonstration dabei, weil meine damaligen WG-Mitbewohnerinnen dorthin fuhren. Das war eine Art Initialzündung. Ich konnte nicht fassen, wie hart die Polizei gegen die Demonstranten vorging. Ich hab dann angefangen zu lesen und mich schlau zu machen zum Thema Atomkraft. Weil ich es schon wichtig fand, wenn man auf die Straße ging oder bei einem Infostand dabei war, auch Rede und Antwort stehen zu können. Ich hatte den Anspruch, dass man weiß, wovon man spricht, wenn man gegen Atomkraft ist.
Dann kam im Februar 1977 die Benennung von Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum …
Das war eine andere Nummer. In jeder Hinsicht, auch persönlich, denn ausgerechnet im Elbdorf Gorleben wohnten meine Großeltern. Hinter den Buchstaben NEZ verbarg sich ja nicht nur die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), die Plutoniumfabrik, sondern auch mehrere Pufferlager für radioaktive Abfälle, eine Brennelementefabrik und dann natürlich auch die unterirdische Atommülldeponie, das sogenannte Endlager. Da war dann allen, die schon aktiv waren und wurden, klar, dass man die Arbeit auf andere Füße stellen musste. Wir haben im März 1977 eine Satzung erarbeitet und die BI als Verein eintragen lassen. Dahinter stand der Gedanke, wir brauchen eine feste Adresse, ein Büro, Infomaterial, Flugblätter. Wir brauchen Spenden, wir brauchen Mitgliedsbeiträge, um überhaupt die außerparlamentarische Arbeit auf den Weg bringen zu können.
Hat sich die BI damals schon bundesweit vernetzt?
Die BI pflegte von Beginn an einen ganz intensiven Meinungs- und Wissensaustausch etwa mit Leuten in Wyhl. Und es gab auch Kontakte im norddeutschen Raum, weil ja schon früh gemunkelt wurde, dass das Nukleare Entsorgungszentrum in Norddeutschland errichtet werden sollte. Diese Kontakte waren deshalb so wertvoll, weil wir, als Gorleben dann als Standort benannt wurde, darauf zurückgreifen konnten. Auch auf das Organisationswissen, das man braucht, wenn man mit so einem Projekt konfrontiert ist. Gut war, dass die bestehenden Kontakte sofort gezündet werden konnten. Wie sonst wäre es möglich gewesen, schon nach wenigen Wochen die erste Großdemonstration zu organisieren?
Am Widerstand gegen die Gorlebener Atomanlagen haben sich dann auch andere Gruppen beteiligt. Die Bäuerliche Notgemeinschaft, die Gorleben-Frauen, die Castor-Gruppen. Welche Rolle spielte die BI in diesem Widerstandsgeflecht?
Die anderen Gruppen gab es, weil bestimmte Spektren nicht durch die BI abgedeckt werden konnten. Ich hätte zum Beispiel niemals den Bäuerinnen und Bauern vorschlagen wollen und können, ob und wie sie ihren Widerstand zu gestalten hätten. Das haben sie für sich selbst definiert. Die Standortbenennung erfolgte an dem Tag, als eine große Versammlung des Landvolks in Lüchow stattfand. Und die Bauern erfuhren, dass ihr Land, ihr Wasser durch die nuklearen Anlagen verseucht werden sollte. Zehn Tage danach waren sie bereits mit ihren Treckern auf der Straße. Die haben sich selbst organisiert.
Und die Frauen?
Es waren vornehmlich Frauen, die in den Anfängen der BI-Arbeit das Sagen hatten. Unvergesslich ist der große Frauenkongress in Trebel Ostern 1980, mit ein Startschuss für die Platzbesetzung der Tiefbohrstelle 1004. Die Gorleben-Frauen waren zudem in der ganzen Republik mit spektakulären Aktionen unterwegs.
Hat die BI sich auch um andere politische Themen gekümmert?
Natürlich, die Anti-AKW-Bewegung war nie eine Ein-Punkt-Bewegung. Wir wussten ja, dass eine WAA, eine Plutoniumfabrik, mit den Plänen von Adenauer und Strauß zu tun hatte, über die sogenannte zivile Nutzung der Atomkraft die nukleare Teilhabe zu erreichen. Deshalb waren wir auch auf der Straße, als in den 80er Jahren tausende Menschen gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstrierten. Dann sah man, Uran ist kein heimischer Brennstoff, unter dem Abbau haben indigene Völker zu leiden, der Internationalismus spielte in der Bewegung eine große Rolle. Und wir haben als Triebfeder für die Energiewende gewirkt. Da kommen viele Linien zusammen, und weil wir nicht auf einem Bein standen, sondern auf vielen, war es dann auch so eine kraftvolle Bewegung.
Die auch, gerade in Gorleben, große Erfolge zu verzeichnen hatte …
Nach dem großen Treck nach Hannover und dem Gorleben-Hearing 1979 kam ja der Rückzieher von Ministerpräsident Albrecht. Der erklärte nämlich, eine Wiederaufarbeitungsanlage sei zwar technisch machbar, aber politisch derzeit nicht durchsetzbar. Wir hatten das erste Mal gewonnen. Gleichzeitig hat die Gegenseite aber ganz gezielt den Bau des Zwischenlagers und des Endlagers vorangetrieben.
Ende der 1970er Jahre erlebte auch die bundesweite Anti-AKW-Bewegung ihren ersten großen Aufschwung. Die hat sich dann auch auf Gorleben gestürzt. Hilfe oder Belastung?
Das war ein schwieriger Prozess. Wir standen zunächst im Schatten der militanten Auseinandersetzungen – der Zaunkämpfe in Grohnde und Brokdorf – und wurden als die Gewaltfreien bespöttelt. Wir hatten zum Glück noch keinen Bauzaun, an dem gleich hätte gerüttelt werden können, aber eine Arbeitsgruppe, die zwischen Stadt und Land stand. Wir haben versucht zu vermitteln, Leute, ihr dürft die Menschen im Wendland nicht überrennen. Auch ideologisch nicht. In Brokdorf war der Kampf gegen das AKW auch ein Kampf gegen das kapitalistische System. In Lüchow-Dannenberg wirst du ganz andere Parolen hören, so unsere Warnung. Einige Aktive im Landkreis hatten große Angst vor roten und schwarzen Fahnen. Wir lebten hier in der Provinz, im tiefsten Zonenrandgebiet mit über 60 Prozent CDU-Wählerinnen und -Wählern und einem sehr verbreiteten Antikommunismus. Auf der anderen Seite haben wir versucht zu verdeutlichen, dass man die wirtschaftlichen und militärischen Interessen hinter der Atomkraft und der WAA nicht außen vor lassen darf, das hat diese Gruppe geleistet, zu der ich auch gehörte. Aber zurück zur Frage. Natürlich war das eine große Hilfe, die bundesweite Unterstützung. Am Ende, während der Castortransporte ab 1995, wurde auf der Straße und der Schiene letztlich der Atomausstieg ausgehandelt, es ging doch nicht nur um Gorleben, es ging gemeinsam ums Ganze.
Wie kam es denn zu einem Konsens?
Entscheidend waren sicher die gut vier Wochen Besetzung des Bohrplatzes 1004 im Juni 1980, eine gemeinsame Aktion von Einheimischen und Auswärtigen. Damit verbunden war die Dauerdebatte auf dem besetzten Platz, wie man sich zur Wehr setzt. Ob man sich hinsetzt und passiv Widerstand leistet und einfach abführen oder wegschleifen lässt. Oder ob man sich aktiv zur Wehr setzt. Diese Debatte zwischen Müslis und Mollis hatte zu einem Kompromiss geführt. Man hat gesagt, wenn die Staatsmacht kommt und will uns dort räumen, dürfen keine Mollis fliegen. Wir dürfen den Rückhalt in der ländlichen Region nicht verlieren, wir müssen zeigen, dass wir für etwas einstehen, der Weg ist auch das Ziel, das heißt, wir wollen eine friedliche Welt, wir wollen den Bombenstoff nicht, die Atomkraft nicht, wir wollen mit offenem Gesicht zeigen, wer wir sind und wofür wir einstehen. Und es blieb tatsächlich bei der Räumung auch gewaltfrei.
Wie erklären Sie den Erfolg der Anti-AKW-Bewegung?
Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die Zivilgesellschaft hat die Atomkraft ausgeknipst. Punkt. Es gab in der Geschichte auch viele Glücksfälle und Zufälle. Ich habe das versucht in meinem Essayband „Das Wunder von Gorleben“ aufzuspüren und nachzuzeichnen. Und es gab die Unglücksfälle: Der Störfall in Harrisburg 1979, als der Treck auf dem Weg nach Hannover war, hatte noch einmal viele gepusht und auf die Straße getrieben, sonst wären da nicht 100.000 Leute zusammengekommen. Wer weiß, wie Albrecht dann entschieden hätte. Dann Tschernobyl 1986. Der Unfall hat mit dazu beigetragen, dass die Auseinandersetzung um Wackersdorf auch unglaublich militant geführt und letztlich gewonnen wurde. Dazu kamen schließlich wirtschaftliche Aspekte. Atomkraftwerke zu bauen wurde immer teurer. Die Energiewirtschaft nahm Abschied von der Plutoniumwirtschaft.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Fast 50 Jahre Widerstand gegen Atomanlagen. Wie hat Sie das persönlich geprägt?
Ich hatte oft ein schlechtes Gewissen Freunden und der Familie gegenüber, weil diese politische Auseinandersetzung unglaublich viel Zeit und Kraft fraß. Anderseits war meine Familie in Sachen Gorleben und Atomkraft einig, und wir waren generationenübergreifend auf der Straße. Der Widerstand gab und gibt auch viel Kraft zurück. Denn unser Protest war von Happenings, Musik, Literatur mitgeprägt.
Warum haben Sie sich nicht in einer Partei engagiert?
Wir als BI haben immer parteienunabhängig gearbeitet. Weil wir zu Beginn dazu gezwungen waren, es gab keine Partei, auf die man sich positiv hätte beziehen können. Und dann haben wir gespürt, auch nach der Gründung der Grünen, wie wichtig es war und ist, dass die Zivilgesellschaft sich in gesellschaftliche Streitfragen einmischt. Und dass es vielfältige Meinungen gibt, die es zu bündeln galt, weil man sich in einer Frage einig war: Atomkraft nein danke. Ich bin zudem Ende der 60er Jahre von der außerparlamentarischen Opposition, der APO, politisch geprägt worden. Die Mitarbeit in der Bürgerinitiative, das sehe ich im Rückblick, war genau das Richtige für mich. Das entsprach meinem politischen Credo, etwas politisch zu bewegen, ohne sich Parteiinteressen, Statuten und Hierarchien unterzuordnen zu müssen.
Was ist geblieben von 50 Jahren Widerstand?
Wenn heute Abertausende auf die Straße gehen nach der Veröffentlichung der Pläne über Massendeportationen und wegen der AfD und der Neonazis, dann hüpft mir das Herz, wenn ich sehe, dass Menschen mit selbstgemalten Schildern unterwegs sind. Wichtig ist mir das zivilgesellschaftliche Engagement als Korrektiv. Hier als Brandmauer gegen rechts. Dass heute tausende Menschen gegen Hass und Hetze, gegen den Rassismus der AfD demonstrieren, macht mir Mut auch für die Zukunft. Das hat aus meiner Sicht unmittelbar damit zu tun, dass wir in einer Bewegungsgesellschaft leben. Zuvor waren es die großen Demonstrationen von Fridays for Future, die Aktionen von Extinction Rebellion, Ende Gelände… da haben wir den Staffelstab schon weitergegeben. Wir haben ja auch unsere Widerstandsikonografie schon weitergegeben. Das gelbe X hängt längst als Protestsymbol in den Braunkohlegebieten. Und das bunte X warnt vor den Nazis.
Wie geht’s weiter mit der BI und mit Ihrem Engagement?
Wir besinnen uns gerade wieder auf unsere Kernthemen. Auch wenn die nicht so gefragt sind zurzeit in der Öffentlichkeit. Weil wir wissen, der Atommüll bleibt, der lagert 60, 80, 100 Jahre noch oberirdisch, weil man so schnell kein Endlager zur Verfügung haben wird. Die nächsten zwei, drei Generationen werden sich weiter die Frage stellen müssen, wie ist der gesellschaftliche Umgang mit dem Atommüll. Wir im Wendland mit Gorleben sind einer von 16 Zwischenlagerstandorten. Und wir sind auch von der Endlagersuche mit Tongebieten im Wendland weiter betroffen und mischen uns natürlich auch da ein. Einmal über die verbliebenen Strukturen der Anti-Atom-Bewegung, über die Atommüllkonferenz. Wir beobachten genau, was die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) macht, um bei der Endlagersuche in den nächsten Jahren bis 2027 von über 50 Prozent der Landesfläche, die für die Endlagersuche als potenziell geeignet ausgewiesen wurde, herunterzukommen auf wenige Standortregionen, es werden ja unter zehn sein. Wie machen die das? Geht’s da wissenschaftlich und mit rechten Dingen zu? Oder gibt es da doch so etwas wie parteipolitische Einflussnahme?
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